Mephisto
sondern noch Wunder, Rätsel und Überraschungen bringen könne. Wenn er vor sich die bedeutenden Faktoren seines Innenlebens Revue passieren läßt, vergißt er nie, Barbara – zu der er in Wahrheit den Kontakt mehr und mehr verliert – mit zu nennen.
Die wichtigste Nummer auf dieser Liste seiner außerordentlichen inneren Vorgänge bleibt jedoch die revolutionäre Gesinnung. Auf diese Rarität und Kostbarkeit, die ihn so vorteilhaft von den übrigen ›Prominenten‹ des Berliner Theaterlebens unterscheidet, möchte er um keinen Preis verzichten. Deshalb pflegt er, eifrig und geschickt, die Freundschaft mit Otto Ulrichs, der seine Stellung am Hamburger Künstlertheater aufgegeben hat und im Norden Berlins ein politisches Kabarett leitet.
»Jetzt müssen alle unsere Kräfte der politischen Arbeit zur Verfügung gestellt werden«, erklärt Otto Ulrichs. »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Der Tag der Entscheidung ist nahe.«
In seinem Kabarett, welches ›Der Sturmvogel‹ heißt und durch die Schärfe wie durch die Qualität seiner Darbietungen Aufsehen nicht nur in den Proletariervierteln erregt, produzieren sich junge Arbeiter neben berühmten Schriftstellern und Schauspielern.
Hendrik glaubt es sich leisten zu können, in eigener Person auf der engen Bühne des ›Sturmvogels‹ zu erscheinen. Anläßlich einer Feier, die Ulrichs zu Ehren eines Besuches von russischen Autoren veranstaltet, wird dem Publikum als besondere Attraktion der berühmte Höfgen vom Staatstheater angekündigt. Ehe Ulrichs aber ausreden kann, springt Höfgen, der seinen schlichtesten grauen Anzug angelegt hat und übrigens nicht im eigenen Mercedeswagen, sondern im Taxi vorgefahren ist, elastisch hinter der Kulisse hervor! »Nichts von Berühmtheit, nichts von Staatstheater!« ruft er mit der metallisch leuchtenden Stimme und reckt mit schöner Geste die Arme. »Ich bin euer Genosse Höfgen!« Ihm antwortet Jubel. Am nächsten Tag erklärt der streng-marxistische Kritiker Doktor Ihrig im ›Neuen Börsenblatt‹, der Schauspieler Höfgen habe sich die Herzen der Berliner Arbeiterschaft mit einem Schlag erobert.
So bewegende Erlebnisse in den proletarischen Außenbezirken beschwichtigen sein Gewissen, das sonst dagegen rebellieren könnte, daß man im Westen nur mondäne Albernheiten inszeniert und spielt. Man gehört doch zur Avantgarde: nicht nur das eigene Bewußtsein sagt es einem; vielmehr bestätigen es auch die Literaten, die es wissen müssen – zum Beispiel Ihrig – und die Angriffe, mit denen so lächerliche Figuren wie Cäsar von Muck einen bedenken. Man gehört doch zur geistigen Vorhut! Die Neuinszenierungen der Wagner-Opern sind kühne Experimente – sehr verständlich, daß sie die ewig Rückständigen in Harnisch bringen. Auch von einem literarischen ›Studio‹, einer Serie modernster Kammerspiel-Aufführungen ist wieder die Rede; zwar realisiert Hendrik den schönen Plan ebensowenig, wie er das Revolutionäre Theater in Hamburg realisiert hat; aber er spricht doch häufig und verlockend von ihm, so daß viele junge Schauspieler und Dichter sich Jahre lang auf das Unternehmen herzlich freuen dürfen. – Man gehört zur revolutionären Elite, und man läßt es sich etwas kosten: Durch Vermittlung des Otto Ulrichs leitet Höfgen Summen, die nicht erheblich sind, aber doch freudig akzeptiert werden, an gewisse Organisationen der Kommunistischen Partei …
Wer wagt zu behaupten, er lebe ahnungslos und eitel in den Tag hinein? Seine intensive Anteilnahme an den großen Zielen und Problemen der Zeit ist bewiesen. Sehr mit Recht schaut Hendrik, seiner tadellos radikalen Gesinnung sich froh bewußt, verächtlich auf so unentschiedene Naturen, wie etwa Barbara eine ist – Barbara, die im Hause des Geheimrats oder auf dem Gut der Generalin ein müßiges und egoistisches Leben führt, eingesponnen in ihre abseitigen intellektuellen Spiele und Sorgen.
Was weiß Hendrik von den Sorgen oder Spielen Barbaras? Was weiß Hendrik überhaupt von Menschen? Ist er, was ihre Schicksale angeht, nicht ebenso ahnungslos wie in den Dingen öffentlichen Lebens? Hat er sich mit denen, die er so gern das ›Zentrum seines Lebens‹ nennt, gründlicher und liebevoller beschäftigt, als etwa mit dem kleinen Böck, der nun wirklich sein Diener ist, oder mit Monsieur Pierre Larue, der im Hotel Esplanade feine Abendessen für ›mes jeunes camarades communistes‹ veranstaltet?
Kümmert Hendrik sich etwa um das innere Leben seiner
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