Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
veranstaltet haben. Die sinnvollste Erklärung ist doch, dass die Hypnose bei dir eine Erinnerung auslöschen sollte, die sich auf eine Verbindung zwischen Susanna van der Neer und diesem Institut bezieht.«
»Das wäre das Wahrscheinlichste.«
»Genau, und jetzt denk nüchtern weiter. Frau van der Neer ist tot, und du wirst mit diesem Institut aller Voraussicht nach nie wieder was zu tun haben. Also, was sollte dann eine weitergehende Manipulation oder ein Befehl noch bringen?«
»Nichts natürlich«, sagte Lea, »so gesehen könnte ich das Kapitel schließen. Nur fehlt mir einfach die Sicherheit, dass das Auslöschen meiner Erinnerung auch wirklich schon alles gewesen ist.«
»Sicherheit ist sowieso relativ. Möchtest du dazu einen schönen lateinischen Spruch aus meiner Sammlung?« Ullrich zwinkerte Lea zu.
»Na schön, also los, her mit dem Spruch.«
»Aufgepasst, aber erst ohne Übersetzung: amicus certus in re incerta cernitur .«
Sie legten an Tempo zu, zumal Frederike sich von den Ziegen verabschiedet hatte und man im Dämmerlicht nur noch ihren roten Parka leuchten sah.
»Dann wollen wir mal sehen, was ich herausbekomme. Amicus certus , der sichere Freund . Weiter geht’s mit in re incerta , Sache unsicher , und letztlich noch cernitur , das ist Passiv und heißt so viel wie: erkannt werden . Rohübersetzung also: Der sichere Freund wird in unsicherer Sache erkannt .«
»Gut gemacht! Eins! Setzen.«
»Ist mir zu kalt.«
»Okay, also weitergehen. Der Spruch stammt von Ennius, gestorben 169 vor Christus.«
»Na gut, ich habe nun also die Gewissheit, verlässliche Freunde zu haben.«
Ullrich drückte ihren Arm. »Also beruhige dich jetzt langsam wieder.«
»Ich versuche es.«
Sie setzten schweigend ihren Weg fort. Lea wollte Ullrich nicht sagen, dass dieses nagende Gefühl, ob hinter dem Ganzen nicht doch noch etwas anderes steckte, zwar abgemildert, jedoch nicht verschwunden war.
Susanna ging zum Schrank und faltete das Gewand, das darin lag, auseinander. Es war vollkommen weiß, nicht ein Fleck, keine Verfärbung, und es duftete angenehm nach Lavendel. Sie zog ihren Pullover aus und schlüpfte in den kuttenähnlichen Überwurf.
Die Halle war bis auf drei weitere Kursteilnehmer, die sie bisher noch nie gesehen hatte, leer. Sie stellte sich auf ihren Platz und wartete. Die weißen Kerzen waren angezündet und zauberten ras t lose Lichtreflexe auf die Wände.
Nach und nach kamen die anderen. Wie ein Chor, der Aufstellung nahm. Die Schatten der Hereinkommenden fielen an der Wand ineinander, verwoben sich zu veränderlichen Flächen, um sich gleich darauf wieder voneinander zu entfernen.
Wie aus einer anderen Welt, dachte Susanna, deren Blick sich auf die Person richtete, die nun den Raum betrat, mit Gesichtszügen wie einer griechischen Apollo-Statue en t liehen.
Er schritt durch ihre Mitte. Vor dem Altar drehte er sich um und hob die Arme: »Die Boten des Lichtes werden ausgesandt und bringen Botschaften der Liebe und der Heilung wieder. Die Boten des Bösen werden ausgesandt und suchen die Spuren der Grausamkeit und der Sünde, sie halten ihren Fund in Ehren und legen sie ihrem Herrn zu Füßen, der sich von ihrer Beute nährt. Seine Macht wächst.«
Auch sie war ja eine Beute. Gehetzt, verfolgt. Ihr Leben lang hatte sie einen Unterschlupf gesucht, ein Versteck. Ihre Anspannung wuchs. Sie spürte, dass ihre Füße den sicheren Stand auf dem Fußboden langsam verloren. Sie versuchte, das Schwanken ihres Körpers auszugleichen. Sie musste ihre Unruhe unter Kontrolle bringen, sie musste durchhalten.
»Seine Macht ist die Angst. Wir haben alle Angst und sind seine Opfer. Vergessen wir nicht«, der Mann richtete seinen Blick auf die Personen, die in Reihen vor ihm standen, »die Angst vor der Entdeckung gibt es bei der geringsten Schuld. Die Angst, meine Brüder und Schwestern, bringt die Wahrnehmung von der Welt hervor, die uns schreckt, die nur das Verwesliche sieht und das Licht verleugnet …«
Susanna verschränkte die Finger ihrer Hände ineinander, um nicht aufzufallen. Der tadelnde Blick ihrer Nachbarin war ihr nicht entgangen.
»… seine Helfershelfer sind die Schattengestalten der Vergangenheit, die euch immer wieder aufs Neue bedrängen, den Weg des Lichtes zu verlassen und Vergeltung zu suchen, im Namen des falschen Herrschers. Macht euch frei, und hört eure Botschaften.«
Einzeln, wie beim letzten Mal, traten sie auf Geheiß des Mannes nach vorne und erhielten die
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