Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
zu haben.« Er hatte sie angeschaut, bemüht, in ihrem Gesicht irgendeine Regung zu entdecken, die seine Frage beantwortet hätte.
Sie war kaum in der Lage gewesen, seinem forschenden Blick standzuhalten, und war versucht, ihm als erstem Menschen von ihrem neuen Leben, von dieser Zeit der Verwandlung zu erzählen. Aber was sollte sie ihm sagen, was erklären?
Die Vorstellung, glücklich zu sein, war ihr auf einmal unpassend erschienen. Die Aussicht auf einen persönlichen Frieden war nicht angemessen. Sie hatte nicht die Fähigkeit der Persephone, zwischen grausiger Unterwelt und grünender Erde hin und her zu wandeln.
Sprachlos und voller Trauer waren sie von ihrem Ausflug zurückgekehrt. David hatte sich hilflos von ihr verabschiedet. Er wusste nun, dass es keinen Sinn hatte, zu warten und zu hoffen.
Sie hatte in den darauffolgenden Tagen jeden Kontakt zu David gemieden, hatte einige Händler antiker Möbel aufgesucht und sich nach Stücken umgeschaut, wie sie es ihrem Vater versprochen hatte.
Eine traurige Geschichte, die sie sich nach all den Jahren selber erzählen musste.
Was, wenn sie sich anders entschieden hätte?
Sie legte die Muschel in die Schublade zurück und verschloss den Sekretär.
»Ich hab so einen Hunger, das kannst du dir nicht vorstellen, ich verhungere gleich, was gibt es zu den Pellkartoffeln?«
Lea, die so gar keine Anzeichen eines drohenden Hungertodes an ihrer wohlproportionierten Tochter entdecken konnte, öffnete den Kühlschrank.
»Rindfleisch und Gurkensalat.«
»Keine Fischstäbchen mehr?«
Lea schüttelte den Kopf und schaute noch mal ins Tiefkühlfach. Da Fischstäbchen sich seit Jahren auf Platz zwei der Top Ten bevorzugter Nahrungsmittel hielten, direkt hinter Spaghetti mit Thunfisch, waren nie genügend Packungen da.
»Na gut, dann Rindfleisch«, antworte Frederike mit erstaunlich wenig Enttäuschung in der Stimme. Die hätte ihr nämlich unter Umständen einen Vortrag über Kinder in armen Ländern eingehandelt, die mit einer Schüssel Reis oder Getreidebrei pro Tag auskommen mussten.
Der Nachmittagsplan sah für Lea ausnahmsweise keine Taxidienste vor. Seit die Aktivitäten ihrer Kinder sich mehr und mehr an Sportplätze, Turnhallen, Reithallen, Schwimmbäder und ähnlich bedeutsame Orte verlegt hatten, konnte Lea der Chauffeurstätigkeit nicht mehr entrinnen. Obwohl sie noch im Kopf hatte, wie sie vehement verkündet hatte, sich niemals stundenlang im Auto wartend auf Parkplätzen herumzutreiben, schon gar nicht in einem Großraumvan, und überhaupt, schon aus Prinzip nicht. In den folgenden Jahren war dieses Prinzip den zahlreichen anderen gefolgt, die eine Zeitlang das Denken und mit Glück auch das Handeln bestimmt hatten, bevor sie nach einiger Zeit ihre Gültigkeit verloren.
»Die Kraft des Faktischen ist unschlagbar«, kommentierte ihr schnörkellos denkender Ehemann, der sich konsequent immer dann einschaltete, wenn es galt, Lea auf einen Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit hinzuweisen. »Überleg mal, die Sachlage ist doch eindeutig. Wenn Marie genau weiß, dass du sie nicht im Winter um neun Uhr abends an einer Bushaltestelle auf der Landstraße nach Ebersheim stehen lassen kannst, weil du nach fünfminütiger Wartezeit ein Schwerverbrechen oder Kidnapping befürchtest, dann hast du schon verloren – und mit dir das Prinzip.«
»Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Soll ich sie im Dunkeln stehen lassen? Sie ist schließlich auch deine Tochter!«
»Sag ihr, sie muss um sechs Uhr zurück sein, dann ist es noch hell.«
Sören hatte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze gegeben und war mit der Zeitung unterm Arm ins Wohnzimmer geschlendert.
Lea war nachdenklich in der Küche stehen geblieben und gestand sich ein, dass sie Sören um die Fähigkeit, Dinge so klar zu sehen, beneidete. Sie tat sich damit meist schwerer. Eine Zeitlang war die Erklärung, dass sie eben gerne verschiedene Aspekte einer Sache bedachte, ihr Favorit gewesen. In einem selbstkritischen Moment war ihr dagegen klargeworden, dass sie sich um bestimmte Erkenntnisse durch Weiterfragen und Weiterdenken schlichtweg drücken wollte. Eine Weigerung der Erkenntnisfindung durch unendliche Analyse, hatte sie mit der ihr eigenen Vorliebe für komplizierte Sätze gedacht. Auch bei Einsichten musste man sich letztlich entscheiden.
Frederike hatte mit großem Appetit auch das letzte Kartoffelstück verspeist und nur einige wenige Gurkenscheiben übrig gelassen. Anschließend
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