Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Buch mit einem tragischen Finale zu schätzen weiß. Das tragische Finale ihrer Reise nach England war möglicherweise vorgegeben, so wie ein Autor das Ende seines Buches fes t legt. Sie hatte David nicht erklären können, dass sie eine andere geworden war, und schon gar nicht, weshalb. Am Morgen nach ihrem Ausflug zum Strand spürte sie die Übelkeit deu t licher als in den Tagen zuvor. Sofort wusste sie, was kommen würde. Ihre Mutter hatte sie beim Frühstück prüfend angesehen.
»Was ist? Geht es dir nicht gut?«
Sie blickte auf den Frühstücksteller, der nahezu unberührt war, schüttelte den Kopf. »Nichts Schlimmes.«
»Was ist mit David, er liebt dich doch, oder?«
Sie hatte genickt.
»Was ist mit dir? Du warst mit ihm zusammen glücklich.«
Ihre Mutter hatte recht gehabt. David erinnerte sie an die Zeit, in der sie das Gefühl gehabt hatte, die Welt bestünde aus Sonnenstrahlen, Tautropfen, Zär t lichkeiten, Farbe und Musik.
»Es sind einige Jahre vergangen, ich weiß, aber ihr habt eine Chance. Man hat immer eine Chance, wenn man den Mut hat, an sie zu glauben.«
Das andere Leben war dabei, sich ihr anzubieten. Sie hätte nur zuzugreifen brauchen.
»Mutter, bitte, ich weiß es nicht. Es ist mir alles so fremd, lass uns abreisen. Ich brauche Zeit.«
Ihre Mutter war entmutigt gewesen. Dort in England hatte sie sich sicher gefühlt vor dieser anderen Welt, die ihr die Tochter entfremdet hatte.
»Wieso können wir nicht noch ein bisschen bleiben? Es geht dir hier gut, du bist nicht mehr so schrecklich blass.«
Sie war wieder stumm geblieben. Wie hätte sie auch damals erklären können, dass ihr dieses Leben in England und diese Zukunft mit David nicht mehr zustand. Sie war aufgestanden, die Übelkeit hatte zugenommen. Ihre Mutter hatte keine Chance gehabt, etwas zu verstehen.
Jahre später hatte sie in Basel eine Salvador-Dalí-Ausstellung begleitet. Kernstück war das Bild »Die brennende Giraffe« gewesen. Gesichtslose Gestalten, gestützt von Krücken und Stangen, in einem irrealen Raum umherirrend. Eine weibliche Figur im Vordergrund steht mit geöffneten Schubkästen in ihrem Leib vor einer blauen Unendlichkeit. Diese leeren Schubkästen, sie hatten Susanna auf erbarmungslose Weise fasziniert. Die en t leerte Seele. Der Körper, der offenbart, dass ihm kein Geheimnis innewohnt.
Sie hatte mit Jost Bundi, ihrem Schweizer Kollegen, häufig über dieses Bild gesprochen. Über die Symbolik der Darstellung und die Welt der Moderne. Aber auch über ihre Generation, die den Seelenstriptease zum Gesellschaftsspiel ernannt hatte und keine gnädige Hülle duldete. Die Frau, ausgeplündert, am Straßenrand stehen gelassen. Wer weiß schon, an wen Salvador Dalí dachte, als er den Pinsel auf die Leinwand setzte?
»Ich würde hier gern Lichtkegel installieren«, hatte sie vorgeschlagen, »ich stelle mir vor, dass die Besucher durch einen Regenbogen-Raum zu dem Bild gelangen, vielleicht mit einigen hellen Spots. Das intensive, farbige Licht stimmt die Menschen hoffnungsvoll und fröhlich. Ich denke, dass der Kontrast zwischen Farbe und Ausdruck dann noch stärker wahrgenommen wird.«
Jost Bundi hatte die Idee gefallen, und er hatte umgehend Lichttechniker zur Montage der verschiedenen Lich t leisten, Strahler und Halogenlämpchen bestellt.
Die Ausstellung war ein großer Erfolg geworden.
Ein Briefumschlag fiel Lea sofort auf, als sie den Stapel Post mit in ihr Arbeitszimmer nahm. Die harte Kontur eines Gegenstandes war durch das Papier hindurch zu ertasten. Sie legte die übrige Post zur Seite und drehte den länglichen Briefumschlag um.
Es gab keinen Absender, ihre Adresse war in neutraler Schrift aufgedruckt. Sie öffnete den Umschlag und fand einen USB-Stick darin, ohne Aufschrift, ohne Begleitschreiben.
Mit dem Stick ging Lea in das Zimmer von Jonas, der für sämtliche Fragen rund um PC und Internet Anlaufstelle für die ganze Familie war. Jonas saß mit iPod-Kopfhörern am Schreibtisch und machte Physik-Hausaufgaben. Physik war das Fach, bei dem Lea bereits in der neunten Klasse ihre Bemühungen um Teilnahme aufgegeben hatte. Die Ohm’schen Gesetze waren ihre letzten Wissensbestandteile geblieben. Sie bedeutete ihm, die Ohrstöpsel zu entfernen.
»Was gibt’s denn?« Jonas schien nicht ärgerlich über die Störung.
»Hier, das kam mit der Post.« Lea hielt ihm den Stick hin. »Ist das ein Problem, wenn ich den einfach in den PC stecke und den Inhalt aufrufe?«
Seit sich ein
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