Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Schuldgefühl oder so was. Morgen geht’s ihr besser.«
»Aber Madeleine hat mich gewarnt! Ich verstehe das nicht.«
»Jetzt hör mir mal zu, mein Schatz: Jeder von euch in den Kursen hat seine persönlichen Ängste. Damit kennst du dich doch aus, oder? Wenn diese Madeleine aus irgendeinem Grund Panik bekommen hat – nichts Ungewöhnliches. Oder?«
Susanna musste zugeben, dass diese Erklärung plausibel war. »Ja, schon …«, antwortete sie zögerlich, und Cleo wiegelte weiter ab: »Schau mal, du kannst das doch getrost Marcion überlassen. Er kann dieser Madeleine gewiss weiterhelfen. Ihr seid bei ihm gut aufgehoben.« Sie machte eine Pause. »Wie geht’s dir eigen t lich? Sag mal, kommst du voran?«
Die plötzlich sanfte, einschmeichelnde Stimme und das Interesse an ihrem Wohlergehen entfalteten sofort ihre Wirkung und beruhigten Susanna. Es gab nicht viele Menschen, die mit der Stimme so arbeiten konnten.
»Es geht. Ich hatte eine Offenbarung. Du weißt, dass wir darüber nicht reden dürfen. Jedenfalls hat sie mir sehr zu schaffen gemacht. Ich musste fast von vorne anfangen.«
»Ach, du Ärmste!«, kam es von ihrer Gesprächspartnerin, »aber du hast die große Chance, neu anzufangen und den Sinn deiner Erfahrungen zu begreifen, deinen Weg zu finden. Das siehst du doch auch so, oder?«
Mein Weg, dachte Susanna und verstummte. Sie sah vor sich die Installation von Joseph Beuys »Das Rudel«, typisch für 1969 mit einem VW-Bus arrangiert. 24 gleiche Schlitten, die an dem Wagen befestigt waren, mit je einer Filzrolle darauf, einer Stablampe und einem Fettklumpen. Dieser Weg, das war der uniforme Weg der Horde, der Masse. Sie hatte die Arrangements von Beuys nie gemocht. Sie hatte Chagall geliebt, den Träumer, der seine Figuren durch die Lüfte fliegen ließ, der das Hochzeitspaar umschlungen zeigte über der Welt.
Oder Max Beckmann. Vor einiger Zeit hatte sie Gelegenheit gehabt, sein Bild »Zwei Frauen« intensiv zu betrachten. Sie war begeistert gewesen von der ungewöhnlichen Balance aus Misstrauen und Melancholie, die der Maler in den Gesichtern der Frauen zum Ausdruck gebracht hatte. Sicher, es war kein heiteres Bild, aber es zeigte das Individuum. Alles war besser als dieses konturenlose Etwas, das Bild der Masse.
»Was ist? Siehst du nun deinen Lebensweg vor dir?«
Sie schrak beim Klang der Stimme zusammen, fast hatte sie vergessen, dass sie telefonierte. »Entschuldige, ich war in Gedanken.«
»Das macht doch nichts, ich verstehe das.«
Dieses Verständnis konnte nicht ehrlich gemeint sein. Aber Susanna überging die Empfindung, dankbar über die Geduld ihrer Gesprächspartnerin.
»Manchmal, besonders nach den Sitzungen mit Marcion, ist alles gut. Ich fühle mich wohl und geborgen …«
»Das ist doch sehr schön.«
»Aber dann kommen immer wieder Zweifel. Du weißt doch, wie es damals war. Ich war doch bei euch, nachdem ich aus England zurück war.«
»Ja, ich weiß, ich erinnere mich.«
»Ich wollte dieses Kind bekommen … Ich hatte doch schon eine Abtreibung hinter mir. Mein Gott, ich war zwanzig!«
»Das ging anderen auch so, für die war das kein Thema!« Cleos Ton wurde wieder schärfer.
Susanna fuhr trotzdem fort. »Aber für mich, für mich war es das. Ihr habt gesagt, das sei Gefühlsduselei, ich solle mich nicht einengen lassen. Aber ich hatte doch das Gefühl, ich täte etwas Unrechtes.«
»Du hast dich in dieses Gefühl hineingesteigert! Lass doch die alten Geschichten ruhen. Glaub mir, es ist besser.«
Susanna spürte wieder den Druck auf ihrer Brust. »Das kann ich nicht! Verstehst du: Das kann ich nicht! Ich habe gewusst, dass es unrecht ist, und ich weiß auch heute, dass es unrecht ist. Begreifst du, was ich dir sage?«
»Doch, natürlich, ich verstehe dich«, kam es von Cleo.
»Das glaube ich nicht … Ich habe mit Johannes gesprochen.«
»Deinem Bruder? Worüber?«
»Über das fünfte Gebot.«
Susanna glaubte, ein erleichtertes Seufzen vernommen zu haben, bevor sie die Frage hörte: »Das fünfte Gebot? Was meinst du damit?«
»Du sollst nicht töten.«
Sie schaltete das Handy ab. Sie wusste, dass sie hier keine Hilfe erwarten konnte. Vielleicht war es ja besser so. Sie musste einsehen, dass sie ihre Entscheidungen selbst zu treffen hatte.
Lea sammelte in der Küche die verschiedenen Müllbehälter ein, die zum Überquellen gefüllt waren. Wo kam das bloß alles her? Sie nahm sich zwar vor, nichts überflüssig Verpacktes zu kaufen, aber im Supermarkt
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