Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
kommst«, hatte sich sogar Sören dem allgemeinen Lästerchor angeschlossen.
Lea ging hinüber in das Arbeitszimmer ihres Mannes und nahm das Telefon.
»Es tut mir leid, dass ich Sie zu Hause störe«, entschuldigte sich Kommissar Franz Bender. »Wir haben jetzt den Abschlussbericht des Gerichtsmediziners. Demnach ist Frau van der Neer an einer Überdosis Cyclobarbital gestorben. Letztlich an einer Atemlähmung, so steht es hier in dem Fax. Haben Sie irgendwann einmal ein solches Präparat verschrieben?«
»Sicher nicht. Cyclobarbital ist ein Barbiturat-Abkömmling. Diese Präparate werden kaum noch verschrieben. Vergiftungen mit solchen Arzneimitteln sind die häufigste Todesursache bei Selbstmorden mit Tabletten. Daher verschreiben die meisten Kollegen bei Schlafstörungen heutzutage lieber ungefährlichere Präparate.«
»Die wären?«
»Zum Beispiel sedierende Neuroleptika, die haben einen anderen Wirkmechanismus und sind für einen Selbstmord nicht geeignet.«
»Verstehe. Hat Frau van der Neer ein Medikament von Ihnen verschrieben bekommen?«
»Soweit ich mich erinnere, hat sie ein mildes Präparat gegen ihre Schlafstörungen bekommen. Übrigens noch ungeeigneter für einen Selbstmordversuch; eine Überdosis verursacht allenfalls Durchfall.«
»Noch eine Frage zu diesem Cyclobarbital, Frau Johannsen. Wirkt es in kürzester Zeit tödlich – so wie Zyankali – oder werden auch manche Selbstmordkandidaten gerettet?«
»Das kommt ganz auf die Umstände an. Zum einen ist die Dosis ausschlaggebend und dann natürlich die Zeitdauer, bis die Person gefunden wird.«
»Was heißt das genau?«
Lea fühlte sich an ihre Facharztprüfung erinnert. »Die Barbituratvergiftung verläuft stufenweise in Abhängigkeit von der Konzentration. Die beruhigenden oder schlaffördernden Barbiturate können die Blut-Hirn-Schranke überwinden, gelangen dadurch direkt in das zentrale Nervensystem und wirken dort sedierend, also beruhigend. Bei zu hohen Dosen kommt es zu einer Beeinträchtigung des Atemzentrums bis hin zur Atemlähmung, und die Beeinträchtigung der Herzfunktion führt dann letztendlich zum Kreislaufversagen. Dies kann abhängig von der Substanz und der eingenommenen Dosis bereits nach wenigen Stunden erfolgen oder auch erst nach mehreren Tagen.«
Lea hatte durchaus eine ausgeprägte Neigung zu dozieren. Leider wurde ihre Umgebung, insbesondere ihre Kinder, bei längeren Vorträgen schnell ungeduldig. Dieses Problem hatte sie hier nicht. In Kommissar Bender hatte sie einen aufmerksamen und wissbegierigen Zuhörer gefunden.
»Ja, das passt ganz gut. Nach Aussage der Gerichtsmedizin ist der Tod am Freitagmorgen ungefähr zwischen 9 und 10 Uhr eingetreten. Gemäß unseren Ermittlungen hat eine Nachbarin Frau van der Neer am Donnerstagabend noch auf der Treppe gesehen, als sie das Haus verlassen wollte. Für die Zeit danach haben wir bislang keine Zeugen.«
»Wurden irgendwelche Reste von Tabletten in der Wohnung gefunden oder eine Medikamentenpackung?«, erkundigte sich Lea.
»Wollen Sie Ihren Beruf wechseln? Wir hätten da noch einen Platz in unserem Ermittlungsteam frei«, konnte Franz Bender einen ironischen Kommentar nicht zurückhalten.
»Bislang noch nicht, aber ich werde mir Ihr Angebot merken«, konterte Lea lachend.
Wieder ernst, sprach der Kommissar weiter. »Die Spurensicherung ist noch mit der Auswertung der Spuren am Tatort beschäftigt. Soweit ich informiert bin, ist jedoch keine Packung mit Tabletten gefunden worden, außer einer Schachtel im Badezimmerschrank mit freiverkäuflichen Kopfschmerztabletten. Die Fingerabdrücke sind von der Toten, ihrem Bruder Alexander und der Nachbarin. Diese Nachbarin, eine Frau Bachmann, kümmerte sich um die Wohnung, wenn Frau van der Neer beruflich unterwegs war. Wenn Sie vielleicht Ihre Aufzeichnungen noch mal durchsehen könnten. Sie wissen ja, manchmal fällt einem dann noch etwas auf …«
Als Lea aufgelegt hatte, ließ sie sich den zeitlichen Ablauf der Ereignisse, den Bender geschildert hatte, durch den Kopf gehen. Statt den Termin in ihrer Sprechstunde am Freitag wahrzunehmen, hatte sich Frau van der Neer umgebracht. Das gab es keineswegs selten bei psychotischen Patienten, die sich einem plötzlichen Impuls folgend umbrachten, und bei schwer depressiven Patienten. Aber hier?
Nach dem Abendessen und nachdem Frederike und Marie mit viel Palaver in ihren Zimmern im ersten Stock verschwunden waren, ließen sich Lea und Sören mit einem Glas
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