Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Bühne an. Lea glaubte mitbekommen zu haben, dass der kleine Teufel seine Hexe, in die er wohl laut Drehbuch irgendwie ein bisschen verliebt war, angelogen hatte.
Der Teufel und die Lüge, ein eingespieltes Team. Lea erinnerte sich an einen aufschlussreichen Hinweis, den ihr alter Deutschlehrer vor Jahren in Hinblick auf Goethes Faust und Mephisto gegeben hatte. Eine Deutung des Namens lautete der durch Lügen zerstört .
Für den Teufel auf der Bühne sah es im Moment nicht gut aus. »Ich kann dich gar nicht mehr leiden«, schimpfte die temperamentvolle kleine Hexe und schwang ihren Besen drohend über dem Kopf des Turnschuhteufels, der wie ein begossener Pudel durch die Waldkulisse davontrottete. Fast tat er den Zuschauern leid.
Diesen Umgang mit dem Teufel hätte sie ihrer Patientin empfehlen müssen. Lea betrachtete amüsiert die immer noch wutschnaubende kleine Hexe, wie sie auf ihrem – zugegebenermaßen vollkommenen Besen – zu ihrem Hexenhaus im Wald ritt, um ihrem Raben zu erzählen, dass der Teufel niederträchtig sei und sie ihn weggejagt habe.
Der Rabe krächzte ein lautstarkes »Kra, kra« als Zeichen seiner Zustimmung und erntete dafür geräuschvolles Gelächter der Zuschauer. Er war hörbar erkältet und das Gekrächze wohl nicht gespielt.
Der Teufel – Lea hatte Sören im letzen Mai zu einem Kongress nach New York begleitet und war als begeisterte Kunstliebhaberin sofort im Museum of Modern Art verschwunden – genauso zielsicher wie Sören seinen Chirurgenkongress angesteuert hatte, um sich über die neuesten Entwicklungen im operativen Bereich, über Nahttechniken, Drainagen und Herz-Lungen-Maschinen zu informieren. Im MOMA war ihr eine Bronzefigur aufgefallen, eine zwei Meter hohe Figur auf einem Steinpodest, schaurig und faszinierend zugleich. Ein Teufel mit Klauen, der ein Netz zwischen Händen und Füßen aufgespannt hatte. Ein Netz, in dem man sich verfangen konnte, das die Bewegung einschränkte, einem die Freiheit raubte. Lea war damals spontan einen Schritt zurückgewichen, so intensiv war die beunruhigende Wirkung gewesen. Dieser Teufel hatte die Haltung eines Menschen, der einen anderen beschwatzte, ihm etwas anbot, ihn überreden wollte. Er stand gebeugt, unterwarf sich scheinbar und verbarg dadurch seine wahre Macht. Er wiegte seine Opfer in Sicherheit, seine Macht baute auf der Verführbarkeit der Menschen auf. Seine Kunst war die Illusion.
»Und, Mama, wie hat es dir gefallen?« Frederike ließ sich hinten auf den Autositz plumpsen.
»Sehr schön, mein Schatz, eine tolle Aufführung, da habt ihr wirklich lange üben müssen, oder?«
»Na, es ging, aber eigentlich hätte ich wirklich gern die Hauptrolle gespielt, nur ist die Babsi ja leider nicht krank geworden.«
Lea überlegte kurz, ob sie die unfrommen Wünsche ihrer Tochter erzieherisch bearbeiten sollte, ließ es aber sein. Sie schaute in den Rückspiegel. Frederike zupfte die letzten Strohhalme aus dem Hexenbesen.
»Freddy, lass das bitte, sonst habe ich den ganzen Rücksitz voller Stroh«, mahnte sie.
Frederike legte den Besen neben sich auf die Rückbank. »Was gibt es denn zum Essen heute Abend? Ich habe einen Riesenhunger!«
»Mal sehen, vielleicht zur Abwechslung mal Spaghetti mit Thunfisch«, trug Lea mit ernster Miene vor, obwohl hier von Abwechslung nicht die Rede sein konnte. Das Lieblingsgericht ihrer Kinder gab es sicher drei Mal die Woche. Es hatte den Vorteil, dass man Spaghetti immer in irgendeiner Küchenschublade fand, und Thunfischdosen kaufte sie sowieso in der Familiengroßpackung. Der unbestritten größte Vorteil dieses Gerichts war jedoch, dass Zeitaufwand und Begeisterung in einem enorm günstigen Verhältnis standen. So auch diesmal. »Super, lecker, ich mache die Spaghetti«, kam es prompt von der Rückbank.
Drittes Kapitel
Das Wasser im Topf fing gerade an zu sprudeln, als das Telefon klingelte.
»Mama, für dich, die Kripo. Bist du wieder zu langsam gefahren?« Jonas grinste, als er sich auf den Küchentisch schwang.
»Alles klar, du Rennfahrer«, erwiderte Lea gutmütig. Seit Jonas den Führerschein hatte, zog er seine Mutter noch häufiger wegen ihrer extrem vorsichtigen Fahrweise auf. Von Anfang an hatte Lea den Autoverkehr und sämtliche Mitwirkenden als äußerst unzuverlässig empfunden. Man wusste nie, auf welche Ideen die anderen Verkehrsteilnehmer kämen. Daher fuhr sie so vorsichtig, dass sie bereits einige Hupkonzerte provoziert hatte. »Da wissen wir immer, wenn du
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