Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Pause. »Das wäre die erste Erklärung, die mir dazu in den Sinn kommt.«
Lea bedachte die Worte, die Elisabeth genannt hatte. Natürlich, sie kamen in jeder Predigt, Andacht und der Weihnachtsmesse vor.
Elisabeth fuhr fort: »Dazu kommt noch die Autorität, auf die sich Personen stützen können, die solche Worte einsetzen. Man könnte sie als verbale Trittbrettfahrer bezeichnen, die sich eine jahrhundertealte Tradition von Gehorsam und Nachfolge zunutze machen.«
Sie hatte recht, da war sich Lea sicher; der zeremonielle Rahmen im ISG hatte auch sie in eine eigenartig weihevolle Stimmung versetzt, trotz Sedativum, Angst und Abwehr. Sie konzentrierte sich wieder auf das Telefongespräch. »Elisabeth, ich muss jetzt noch etwas wissen: Was hat es mit dem Rad des Schicksals auf sich und mit dem Gehängten, dazu die Zahlen 10 und 12?«
Sören schaltete sich ein: »Lea, ich glaube, es ist besser, wenn du dich erst einmal ausruhst, das alles könnt ihr auch morgen besprechen.«
Lea schüttelte den Kopf. »Ich kann mich aber nicht beruhigen, bevor ich das nicht verstanden habe. Bitte, Elisabeth, was ist mit dem Rad des Schicksals, dem Gehängten und den beiden Zahlen?«
»Also gut, wenn es dir wirklich hilft. Es sind Tarotkarten, die zu den so genannten Großen Arkanen gehören, den Trumpfkarten. Der Zahl 10 ist das Rad des Schicksals zugeordnet und die Zahl 12 dem Gehängten.«
»Ja, das weiß ich schon. Aber das heißt was – in Verbindung mit der Offenbarung?«
»Also, Lea, ich kann nur spekulieren. Kurz gefasst bedeutet das Rad des Schicksals, dass der Mensch hineingeworfen wird in den Lauf der Welt und ihrer Geschehnisse und sich dies immer vergegenwärtigen sollte. Es gibt auf diesen Karten noch allerlei weitere Symbolik, aber das würde im Moment nur verwirren.«
»Und die andere Karte, der Gehängte?«, fragte Lea.
»Die weist auf einen inneren Veränderungsprozess hin, der einsetzt, obwohl in der äußeren Welt nichts Maßgebliches passiert, also eine äußere Situation des Stillstandes, des Wartens in subjektiv unangenehmer Position.«
Das passte. Während Elisabeth weiterredete, dachte Lea an die vergangenen Monate, die sich grau und bleiern dahingeschleppt hatten.
»Die Karte hat auch einen Opferaspekt«, ergänzte Elisabeth noch, »da derjenige, der die Welt umgekehrt sieht und nicht auf seinen Füßen steht, meist hilflos ist.«
»Noch eines, Elisabeth. Marcion sprach von der Weltesche und Odin, was heißt das denn?«
»Er bezog sich auf eine Sage der Germanen. Deren Mythologie ist wie die anderer Völker auch voll von Opferthemen, denk nur an Prometheus bei den Griechen.«
Lea nickte und hob abwehrend die Hand, da Sören ihr erneut ein Zeichen machte, dass sie das Telefonat beenden solle. Seufzend setzte er sich in einen Sessel.
»Gut, so weit habe ich das verstanden, Elisabeth. Aber was soll das im Zusammenhang mit einem Hypnosebefehl? Der hatte doch wohl zum Ziel, dass ich auf der Autobahn tödlich verunglücke, oder?«
Jonas und Marie waren hereingekommen und hörten schweigend zu. Elisabeth räusperte sich. »Jetzt betrete ich wirklich ganz dünnes Eis, Lea. Ich denke, dieses ganze Drumherum hat ausschließlich die Funktion, den Hypnosebefehl hübsch zu verpacken. Vielleicht, um dich gefügiger zu machen. Aber bitte, Lea, frag das noch mal die Hypnosespezialistin.«
»Natürlich, das werde ich. Entschuldige, Elisabeth, am liebsten würde ich jetzt auf der Stelle alles verstehen.«
»Das glaube ich dir, aber geh es langsam an. Aber damit hat sich die Selbstmordtheorie bei deiner ehemaligen Patientin doch ebenfalls erledigt, und diesem Marcion wird man hoffentlich das Handwerk legen, oder?«
»Das denke ich auch. Kommissar Bender und seine Kollegen kümmern sich darum. Morgen treffen sich erst einmal alle Beteiligten im Polizeipräsidium, und ich hoffe, Frau von Helmstetten wird dazukommen. Ich wäre jedenfalls beruhigt, wenn sie dabei wäre.«
»Das kann ich verstehen, Lea. Jetzt machen wir aber wirklich mal Schluss, und du erzählst mir einfach morgen, was bei dem Treffen rausgekommen ist.«
»Natürlich, Elisabeth, versprochen. Noch mal lieben Dank für deine Hilfe, bis morgen.«
Während des Abendessens überkam Lea schlagartig lähmende Müdigkeit. Sie musste sich regelrecht dazu aufraffen, aufzustehen, die Treppe hinaufzugehen und sich unter die Dusche zu stellen.
Als Sören später ins Schlafzimmer kam, lag sie jedoch trotz Müdigkeit und Erschöpfung noch immer wach. Die
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