Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
sie – ähnlich wie in Kliniken – überwiegend in langen Nächten im Einsatz; da war das Licht ohnehin nicht so hell, dass man Einzelheiten erkennen konnte, oder man war zu müde, um auf solche Details zu achten.
Franz Bender hatte eine dunkelblaue Keramiktasse in der Hand mit der Aufschrift »Papa«. Lea überlegte, ob es wohl seine eigene Tasse war. Vielleicht ein Geburtstagsgeschenk, das ein Taschengeldbudget nicht sprengte. Sich Kommissar Bender vorzustellen, wie er eine Spielzeugeisenbahn aufbaute, einem Kind Fahrradfahren beibrachte oder eine Melodie auf der Blockflöte begeistert kommentierte, fiel Lea irgendwie schwer; zu sehr verknüpft war ihr Bild von ihm mit dem gemeinsamen Thema, das mit einer Kinderzimmerwelt so gar nichts zu tun hatte.
Nachdem sich alle begrüßt hatten und aus den Bechern der Duft von heißem Kaffee aufstieg, bat Sandra Kurz alle Anwesenden, Platz zu nehmen. Der Smalltalk über das Wetter, den Mainzer Berufsverkehr und die Parkplatzsituation rund um das Polizeipräsidium verstummte.
»Bevor ich den Stand der Ermittlungen zusammenfasse, hätten wir noch einige Fragen abzuarbeiten, für die wir Ihre Hilfe brauchen.« Sandra Kurz schaute Lea und Frau von Helmstetten an. »Wir haben nach den Ereignissen des gestrigen Tages, die ja glücklicherweise gut ausgegangen sind, den Verdacht, dass Mitarbeiter des ISG, insbesondere Herr Schäfer, ausgewählte und entsprechend vorbereitete Personen, die als Hilfesuchende in dieses Institut kommen, mittels posthypnotischer Befehle in den Suizid schicken. Mit dem Ziel, in Besitz größerer Geldbeträge zu kommen, die als Erbschaft oder Schenkung deklariert werden. Dazu die erste Frage.« Kurz blickte auf das DIN-A4-Blatt, das vor ihr lag. »Was hat die spirituelle Maskerade dieses Instituts mit der Hypnose zu tun, und welchen Vorteil haben die Akteure, wenn ein spiritueller Zusammenhang hergestellt wird?«
Frau Kurz hatte die Frage an Professor von Helmstetten gerichtet, und diese antwortete: »Der spirituelle Zusammenhang hat meiner Einschätzung nach eine herausragende Bedeutung, denn prinzipiell ist es zwar möglich, einer Person den Befehl zu übermitteln, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt umzubringen, die Sicherheit jedoch, dass der Befehl auch wirklich befolgt wird, ist das große Problem.« Sie machte eine Pause, damit jeder im Raum Zeit hatte, den Inhalt der Aussage vollständig nachzuvollziehen. »Wie ich schon vor drei Monaten erläutert habe, gibt es immer Schwierigkeiten mit Hypnosebefehlen, die der betreffenden Person in ihrem tiefsten Inneren widerstreben. Deshalb muss man sich einer Art Verpackung bedienen, einer Art trojanischen Pferdes. Bei der Hypnose besteht der Trick darin, dass problematische Befehle mit Begriffen wie Erlösung verknüpft werden oder mit Worten wie Erkenntnis oder Vergebung. Die sind in unserer Kultur positiv besetzt, beinhalten eine gewisse Ehrbarkeit, so dass es keine oder nur eine geringe Abwehr gibt.«
»Reichen solche Verknüpfungen denn aus, um jemanden gegen seinen Willen zu hypnotisieren?«, fragte Kommissar Bender nach.
»Nein, sicher nicht. Dieses Vorgehen ist geeignet für Personen, die sich an das Institut wenden mit einer persönlichen Heilserwartung oder etwas Ähnlichem, also vermutlich Frau van der Neer und die anderen Frauen, die zu Opfern wurden.«
»Und bei Frau Doktor Johannsen?«, fragte Sandra Kurz.
»Ich denke, bei ihr wird es bedeutend schwieriger gewesen sein, den Hypnosebefehl absolut sicher zu verankern, da sie nicht auf der Suche nach Hilfe war. Frau Johannsen wollte lediglich herausfinden, was mit Frau van der Neer geschehen ist, also musste Marcion – nehmen wir einfach mal an, er ist der Drahtzieher des Ganzen – von einem erheblichen Widerstand ausgehen. Daher auch der Einsatz eines Medikaments.«
»Ah ja, vielen Dank«, sagte Sandra Kurz und machte sich eine Notiz. Dann blickte sie Lea an, die die Ausführungen von Helmstettens aufmerksam verfolgt hatte. »Ich denke, wir verlassen nun die Theorie und lassen Frau Johannsen von den Ereignissen im ISG berichten, so wie sie sich daran erinnert. Einverstanden?«
»Einverstanden«, stimmte Lea zu.
»Und die anderen Fragen können wir dann im Anschluss abarbeiten, oder?« Diese Frage war an ihren Vorgesetzten gerichtet. Feinfühlig bezog die jüngere Beamtin Kommissar Bender in die Entscheidung über das weitere Vorgehen mit ein.
»Jawohl, Frau Kollegin«, stimmte dieser lächelnd zu und zog seinen Pullover aus. Im
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