Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
den Dessertlöffel auf der weißen Tischdecke nachdenklich hin und her.
»Einmal richtig, einmal falsch. Möglicherweise hat Frau van der Neer etwas durcheinandergebracht«, bemerkte Lea, »oder ich in meinen Notizen.«
»Kein Wunder bei diesen Themen – Hohepriesterin, Magier, Turm und Teufel – würde es mich nicht überraschen, wenn man etwas verwechselt. Aber es fällt auf, dass weder Frau Siegburger noch Herr Hohenstein über dieses ISG sprechen wollten. Nun, wie auch immer, diese so genannten Aufgaben oder Themen weisen meiner Einschätzung nach nicht auf Standardangebote hin, die man von solchen Einrichtungen kennt. Vielleicht haben wir es doch mit einer sektenähnlichen Gemeinschaft zu tun?«
»Stimmt, alltäglich hört es sich jedenfalls nicht an«, gab Lea der Kommissarin recht. »Dann vielleicht Selbstmord als Reaktion auf einen Sektenausstieg? Da könnte Angst vor Sanktionen im Spiel sein, vielleicht sogar Todesangst.«
»Oder es ist gar nicht dazu gekommen und Frau van der Neer hat sich umgebracht, als sie erkannte, dass es für sie eben keinen Weg heraus gibt?«
Sandra Kurz verstummte, stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und legte ihr Kinn auf die zusammengefalteten Hände. »Das sind eindeutig zu viele Vielleicht.«
»Hoffnung, Angst und der Teufel«, überlegte Lea laut. »Irgendwie haben sämtliche skurrilen Sektenführer, Möchtegern-Satanisten und Psychopathen damit zu tun.« Sie schob ihren Teller zur Seite und wischte einzelne Brotkrumen von der Tischdecke.
»Tja, der Teufel, was ist er für den Menschen?«, sann Frau Kurz nach und versuchte es selbst mit einer Antwort. »Vielleicht steht er für das Böse, das sich allen soziologischen, psychologischen und pädagogischen Erklärungsversuchen entzieht? Vielleicht ist es das unerklärliche Böse, dem wir damit einen Namen geben?«
»Eine Philosophin als Kriminalbeamtin?« Leas Feststellung ließ keinerlei Ironie erkennen.
Trotzdem schaute Sandra Kurz fast schuldbewusst, so als gehörten allgemeine Glaubensfragen über das Wesen des Menschen nicht zu professioneller Polizeiarbeit, und sofort wurde sie wieder sachlich: »Gut, also Sektenmord oder rituelle Tötung können wir zumindest in der offensichtlichen Variante außer Acht lassen. Wenn der Tod von Frau van der Neer überhaupt etwas mit einer Sekte zu tun haben sollte, geht es um subtile Gewaltanwendung.« Sie zog die Stirn in Falten. »Ich sehe schon unseren zuständigen Staatsanwalt vor mir. Er wird mir die Ermittlungsakten vor die Füße schmeißen, wenn ich mit so einer Arbeitshypothese ankomme.«
»Wenn wir davon ausgehen, dass irgendetwas, sagen wir einmal Verborgenes hinter dem Tod von Frau van der Neer steckt, sind Verbindungen zu einer Sekte vielleicht wirklich nicht uninteressant, oder?« Lea hatte das unbedingte Gefühl, dass ihre Denkübungen eine Kreisbewegung beschrieben.
Frau Kurz wiegte den Kopf hin und her.
Aber Lea wollte sich nicht so schnell von dieser geheimnisumwitterten Variante trennen, allen Kreisbewegungen zum Trotz. »Wir wissen, die streng hierarchisch gegliederten Sekten und auch der organisierte Satanismus treten in der Regel nicht nach außen, insofern wäre die Geheimniskrämerei nicht unpassend.«
Frau Kurz’ Schweigen signalisierte zurückhaltendes Einvernehmen.
»Die Personen treffen sich an geheimen Orten, der Gruppendruck ist immens, und kein Mitglied kann einfach die Gruppe verlassen. Über die Sekte zu reden, ist strengstens untersagt. Das trifft in jedem Fall zu. Weder Frau van der Neer noch Frau Siegburger oder Herr Hohenstein haben irgendwelche Angaben zu diesem ISG machen wollen. Ist es nicht so?«
Sandra Kurz nickte.
»Weil alle Mitglieder schweigen, gibt es auch wenig gesichertes Wissen über solche Zirkel.« Leas Bemühungen, den gedanklichen Kreisverkehr zu verlassen, waren nicht sonderlich erfolgreich gewesen, es fehlten definitiv vernünftige Hinweisschilder. Und so blieb ihr nichts als festzustellen, dass sie nicht weiterwusste.
Neben ihnen wurden die Tische abgeräumt, aber Lea hatte die Umgebung und auch die Nachmittagssprechstunde vergessen. Ihr kam ein Gedanke. »Im Fall von Frau van der Neer kann ich mir schon vorstellen, dass sie vielleicht Bemerkungen gemacht hat, die der Umgebung möglicherweise als eigenartig oder irgendwie besonders aufgefallen sind, nur wird keiner diese Bemerkungen so richtig wahrgenommen haben, weil sie eben unklar waren. Was ich sagen möchte, ist, dass wir ausschließlich das in unserem
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