Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Gedächtnis behalten, was wir zuordnen können.«
»Ja, hm, habe ich verstanden, aber was heißt das für Frau van der Neer und ihre Dämonen.«
Frau Kurz war entschlossen, keine weitschweifigen Ausflüge in die Psyche potentieller Zeugen zu unternehmen. Erinnerungen, die man nicht protokollieren konnte, waren ohnehin nicht zu gebrauchen.
»Also, gut, die Dämonen.« Lea suchte Ordnung im Wirrwarr. »Dämon Nummer eins war sicher ihr Schuldgefühl, vielleicht wegen der Abtreibungen, vielleicht wegen anderer Dinge, wer weiß. Der zweite Dämon war die Sache mit dem Teufel …«
»Dieser Satz mit dem Teufel – was genau hat sie gesagt?«, unterbrach Frau Kurz.
»›Der Teufel, ich habe mich auf ihn eingelassen, über ihn meditiert‹.«
Lea hatte den Satz so oft gelesen, dass sie keine Schwierigkeiten mit einem originalgetreuen Zitat hatte.
Frau Kurz zerlegte in Gedanken die Formulierung.
»Ich weiß nicht … Das hört sich beherrscht und intellektuell an … Aber wer kann schon sagen, wie es gemeint ist? Und Dämon Nummer drei?«
Leas Blick fiel auf ihre Armbanduhr. Sie musste aufbrechen, das war keine Mittagspause gewesen, sondern es war fast der halbe Nachmittag vergangen. »Es tut mir leid, ich muss in die Praxis.«
»Natürlich!«
Bevor sie sich vor dem Restaurant verabschiedeten, hatte Sandra Kurz noch einen überraschenden Hinweis. »Wussten Sie eigentlich, dass Frau van der Neer reich war?«
»Nein.«
Das äußere Erscheinungsbild von Susanna van der Neer hatte gepflegt und eher ordentlich als reich gewirkt.
»Uns hat das auch überrascht«, sagte Sandra Kurz. »Die Wohnung und die Einrichtung von Frau van der Neer wirkten stilvoll, gepflegt, aber eher bescheiden. Wobei, die riesige Bibliothek mit wertvollen Kunstbänden war ungewöhnlich, und die Bilder, die sie besaß, waren wohl durchweg Originale.«
»Dann könnte ihr Tod doch damit zu tun haben? Mit Kunst?«, fragte Lea.
»Wir werden sehen.«
Lea ging über den Domplatz. Der Mainzer Wochenmarkt wurde gerade abgebaut, und überall stapelten sich leere Steigen. Am Eierstand saß nur der Hahn gemütlich auf dem Verkaufstisch, während um ihn herum alles geschäftig war. Dieser Hahn zog vor allem die jüngeren Marktbesucher magisch an. Als Leas Kinder noch mit auf den Markt gekommen waren, hatte sie Eier kaufen müssen, auch wenn die Eiervorräte zu Hause für ein komplettes Osterfest ausgereicht hätten, denn der Hahn war beeindruckend. Er blickte majestätisch und an manchen Tagen sogar kämpferisch über das bunte Treiben.
In der Praxis warteten bereits zwei ihrer Patienten und ein Mann, den Lea noch nie gesehen hatte. In einem dunkelblauen Mantel über einem Anzug saß er auf einem Sessel in der kleinen Nische, die für Praxisbesucher vorgesehen war, die nicht wegen der ärztlichen Behandlung gekommen waren.
Nora kam hinter Lea ins Arztzimmer: »Das ist der Bruder der Patientin, die sich umgebracht hat. Rechtsanwalt Alexander van der Neer.«
»Gut, aber erst nehme ich Herrn Mosbauer und Frau Kühne dran, das Gespräch wird sicher länger dauern.«
Wie Lea angenommen hatte, konnte sie bald darauf mit Herrn van der Neer sprechen. »Entschuldigen Sie bitte meinen unangekündigten Besuch bei Ihnen«, sagte dieser zur Begrüßung. »Aber ich muss einfach wissen, welche Gründe bei Susannas Selbstmord eine Rolle gespielt haben. Wenn es ein Selbstmord war!«
Lea betrachtete den Mann, der vor ihr saß. Ein ernster Mensch, der in seinem Leben nicht häufig gelacht haben mochte. Seine Augen strahlten dagegen eine Wärme aus, die in deutlichem Kontrast zu seiner angespannten Mimik stand. Seine hagere Statur wurde durch den eleganten Anzug unterstrichen, die wenigen grauen Haare waren kurzgeschnitten und verstärkten den asketischen Eindruck.
»Ich denke häufig über Ihre Schwester nach. Wie die Polizei Ihnen vielleicht mitgeteilt hat, ist sie zu ihrem letzten Termin bei mir nicht erschienen, und es ist daher schwierig, etwas über die Situation zu sagen, in der sie sich unmittelbar vor ihrem Tod befand.«
Herr van der Neer nickte, sagte aber nichts dazu.
»Die Anlässe für einen Termin Ihrer Schwester bei mir waren sehr verschiedenartig, und ich muss zugeben, dass sie mir einige Rätsel aufgegeben hat.«
Herr van der Neer wartete einen Moment, ob Lea etwas hinzufügen würde, und begann dann zu sprechen. »Susanna war kein einfacher Mensch, das ist richtig. Besonders in den letzten Jahren war sie sehr verschlossen; es gab nur wenige
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