Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Wirkung eines Knochens haben konnte, den man unter hungrige Raubtiere warf, hatte sie wachsam gemacht.
Die junge Frau, die immer noch neben ihnen stand, war offensich t lich erstaunt über diese eigenartig gespannte Konversation.
»Ach, schon wieder Prinzesschen Rühr-mich …« Weiter kam sie in ihrem Satz nicht, da sich der angewählte Gesprächsteilnehmer gemeldet hatte. »Jemina, hi! Ich bin es, Cleo. Hier ist eine Frau, die du in der Schweiz getroffen hast, sie hat deine Karte. Erinnerst du dich?« Es entstand eine Pause. »Meinst du? Sieht danach aus. Da hast du recht, es ist deine Entscheidung.«
Die Tatsache, dass Jemina Faradiz Cleo Hollmann kannte, ernüchterte Susanna. Sie hatte sich so viel erhofft, und jetzt doch nur wieder die bekannten Muster?
»Gut, ich gebe ihr deine Adresse. Du musst es wissen. Bis morgen. Tschau.« Cleo steckte ihr Handy zurück in die Hosentasche. Dann trat sie an die Anmeldung, griff über die Theke und nahm einen Zettel und einen Stift. »Ich schreibe dir Jeminas Adresse auf, sie ist noch eine Stunde zu Hause.«
Susanna stand da und sagte nichts.
»Jedenfalls kannst du gleich bei ihr vorbeifahren, es ist hier in der Nähe. Alles klar?«
Als Susanna immer noch nicht reagierte, drückte sie ihr den Zettel mit der Adresse in die Hand. »Mach, was du willst«, sagte Cleo und drehte sich zu dem Mädchen um. »Tanja, wenn Beate mit ihrem Gesprächskreis fertig ist, soll sie sich bei mir melden, sag ihr das!«
Mit dem Stück Papier in der Hand ging Susanna zu ihrem Wagen. Sollte sie dor t hin fahren? Konnte sie dem vertrauen, was sie in der Schweiz so begeistert hatte, oder war es wieder eine Sackgasse?
Sie schloss ihren Wagen auf und setzte sich hinter das Steuer. Ein Zitat kam ihr in den Sinn: »Die Kunst, Wahres und Falsches voneinander zu unterscheiden«. Diesen lateinischen Spruch hatte sie mit Alexander, der ihr bei schwierigen Lateinhausaufgaben geholfen hatte, übersetzt. Sie hatten lange darüber gesprochen, was erforderlich war, um diese Unterscheidung vornehmen zu können.
»Vieles dazu fehlt dir noch, da kannst du sicher sein«, hatte der große Bruder sie geneckt, »vor allem die Erfahrung, der Abstand, der gezügelte Affekt und so weiter, also fast alles!«
Sie hatte ihren Bruder daraufhin durch das halbe Haus gejagt, bis sie sich atemlos auf einer Treppenstufe niedergelassen hatte. Alexander hatte sich neben sie gesetzt und den Arm um sie gelegt. »Jetzt aber mal im Ernst, Schwesterchen, ich glaube, wenn man sich in dieser Kunst, so wie sie die Römer verstanden haben, üben möchte, benötigt man vor allem Mut.«
»Wieso Mut?«
»Mut ist wichtig, damit man sich traut, Entscheidungen zu treffen. Man geht damit das Risiko ein, sich falsch zu entscheiden.«
»Und wenn man sich nicht entscheidet?«
»Damit geht man auch ein Risiko ein.«
»Wieso?«, hatte sie fasziniert von diesem Thema weitergefragt.
»Wenn du selbst nicht entscheidest, Susanna, entscheiden andere Menschen für dich, und wenn sie erst einmal für dich entscheiden, bestimmen sie über dein Leben.«
Angstvoll hatte sie ihn gefragt: »Und wenn ich nicht lerne, mich selbst zu entscheiden?«
»Glaub mir, Süße, du hast viel Zeit, das alles zu lernen. Komm, wir machen mit den Hausaufgaben weiter.«
Wenig begeistert war sie damals zu der Lateinübersetzung zurückgekehrt.
Jetzt fiel ihr Blick wieder auf die Adresse auf dem Zettel. Vielleicht war es ihre letzte Chance. Sie merkte, dass ihre Entschlossenheit abnahm. Sie würde erneut die Orientierung verlieren. Das durfte nicht geschehen. Es war wirklich nicht weit. Rohrbachstraße, Hausnummer 52. Die Wohnung lag im zweiten Stock eines alten Hauses mit geschnitztem Holzhandlauf und schiefen Treppenstufen. Es roch nach Bohnerwachs, die Wand des Treppenhauses war wohl vor kurzem frisch gestrichen worden, in einem warmen Gelb. Es war eines der Häuser, in denen sie sich schon immer wohl gefühlt hatte.
Sie stand vor der Tür und drückte auf den kleinen Messingklingelknopf. Es dauerte nicht lange, und sie hörte herbeikommende Schritte und sah schemenhaft durch die matte Glasscheibe, wie sich eine Person näherte. Sekunden später öffnete sich die Tür.
»Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.«
Susanna blieb vor der geöffneten Wohnungstür stehen. »Ich möchte Sie etwas fragen, bevor ich eintrete.«
»Bitte, fragen Sie.«
Jemina Faradiz hielt in ihrer Bewegung inne und wartete.
»Woher kennen Sie Cleo?«
»Cleo aus dem
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