Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Heeger
Vom Netzwerk:
die gewohnte Umgebung zu verlassen und uns auf eine Suche zu begeben.«
    Der Vormittag hatte hektisch begonnen, und Lea hatte Mühe gehabt, sich an die vorgegebenen Zeiten zu halten. Bereits ihr erster Patient, ein siebenjähriger Junge, der wegen eines ADHS-Syndroms mit Ritalin behandelt worden war, hatte sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Die Mutter hatte die Behandlung beschleunigen wollen und innerhalb von wenigen Tagen die angestrebte Zieldosierung verabreicht. Als Folge davon hatte das Kind sich mehrfach erbrochen, sich die Kleider vom Leib gerissen und ständig etwas von seinen Armen und Beinen entfernen wollen. Schließlich hatte die verzweifelte Mutter den Notarzt gerufen, und der Junge war in die Kinderpsychiatrie gebracht worden.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Lea den Jungen, der vor drei Tagen entlassen worden war. Der Junge schaute sie nicht an. Er hielt seinen Blick starr auf den Fußboden vor sich gerichtet. Er wollte nicht reden.
    Die kleine Teichanlage im Park strahlte eine wundervolle Ruhe aus. Einige Seerosen lagen dekorativ auf der graugrünen Wasseroberfläche. Gelbliche Schilfgräser rahmten den Teich wirkungsvoll ein. Wie den Seerosenteich Monets in Giverny. Claude Monet hatte die Blumen auf dem Teich so gemalt, dass sie sich erst im Auge des Betrachters zu einer Blüte zusammensetzten. Diese unglaubliche Erkenntnis, dass das Bild von der Welt im Kopf des Menschen entstand, eröffnete eine völlig neue Sicht auf das Wesen der Wirklichkeit. Auch das Motiv war etwas Besonderes. Es zeigte die Einzigartigkeit einer Blume, die nicht aus der Erde, sondern aus dem Wasser hervorwuchs, die nicht die Strömung des Windes, sondern des Wassers bewegte.
    Susanna schaute aus dem Fenster über die Wipfel der Bäume in den Himmel.
    Die ersten Tage im Institut hatten wohltuend auf ihr zerrissenes Gemüt gewirkt. Es wurde wenig gesprochen, und es gab feste Zeiten, in denen ganz geschwiegen wurde. Es gab Meditationsübungen, Stunden mit rituellen Gesängen, die einfach zu lernen waren, Entspannungsübungen im Park und die allabendlichen Zusammenkünfte. Besonders nach diesen fühlte sie sich zum ersten Mal seit langem wieder frei und auf wundersame Weise beruhigt.
    Im Nebenzimmer war eine Belgierin untergebracht, die mit französischem Akzent deutsch sprach, wenngleich sie sehr selten sprach. Sie war jünger als sie selbst, und bis auf einen kurzen Blickkontakt hatte es keinerlei Annäherung gegeben. Susanna hatte nie ein Lächeln auf ihren Lippen gesehen, nur bei den Zusammenkünften hatte man den Eindruck, einen lebendigen Menschen vor sich zu haben.
    Der Vormittag war um drei weitere Patienten fortgeschritten. In letzter Zeit bekam Lea häufig Kopfschmerzen. Ihre Augen fühlten sich dabei an, als seien sie zu groß für die Augenhöhlen.
    »Mach dich locker, Mama«, hatte Jonas gesagt, als sie kürzlich in der Küche mittellaut vor sich hin geklagt hatte. »Du hast gut reden«, hatte sie ihn angefaucht; es war einer jener Tage gewesen, an denen sie sich schon seit dem morgendlichen Aufstehen auf den Augenblick freute, an dem sie abends in ihr Bett sinken würde. »Eure Lockerheit funktioniert nur, weil ich mir über viele Jahre mühsam die Rolle eines Oberkontrolleurs zugelegt habe. Wenn ich meine Strümpfe und Sportklamotten auch so in die Ecke werfen würde wie ihr, würden wir hier im Chaos leben.« Jonas hatte sofort erkannt, dass er sich auf ausgesprochen gefährlichem Terrain bewegte, und so war die Diskussion um Leas Kopfschmerzen schlagartig beendet gewesen.
    Mit diesem berstenden Druck unter der Schädeldecke war an ein Weiterarbeiten nicht zu denken, und so nahm Lea ein Aspirin aus ihrer Schreibtischschublade, griff nach der Wasserflasche und spülte die Tablette mit einem großen Schluck hinunter. Dann drückte sie die Taste der Gegensprechanlage, und der nächste Patient nahm vor ihr Platz.
    Herr Müller litt seit Jahren unter schwersten Depressionen. Lea seufzte innerlich. Gut, dass wenigstens ihre Kopfschmerztablette zu wirken begann.
    »Gehen Sie zur Seite, bitte lassen Sie mich durch.« Noras Stimme hatte einen alarmierenden Unterton. Lea sprang von ihrem Stuhl auf und lief zur Tür. Einer von Ullrichs Patienten hatte vor der Anmeldung einen Krampfanfall bekommen. Auch das noch!
    »Keil, eine Ampulle Diazepam, 10 Milligramm«, rief sie Nora zu.
    Sie schob dem am Boden liegenden Mann den Gummikeil zwischen die Zähne, wobei ihr die Schaumbläschen, die die krampfenden Kiefer und die

Weitere Kostenlose Bücher