Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
dürfte.«
Der Satz, dessen aktuelle Bedeutung er vermutlich erst erkannte, als er ihn ausgesprochen hatte, setzte ihm sichtlich zu, denn er faltete das Taschentuch wieder auseinander und wischte sich über die Stirn, auf der Schweißperlen glänzten. Es gab Menschen, denen wurde bei emotionalem Aufruhr schwindelig, manche bekamen Durchfall oder Herzrasen, und bei anderen wurden die Hände oder die Stirn feucht.
Ohne Frage oder Aufforderung begann Johannes van der Neer zu erzählen. »Wissen Sie, Frau Johannsen, ich habe mir ständig Sorgen um meine Schwester gemacht, aber vor einiger Zeit hatte ich den Eindruck, sie sei dabei, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Sie hatte bei einem Kurzurlaub am Genfer See jemanden getroffen, der sie wohl sehr beeindruckt hat. Sie scheinen auch gemeinsame Bekannte in Frankfurt gehabt zu haben.«
»Wann fand dieser Kurzurlaub statt?«
Johannes überlegte zweifelnd und sah seinen Bruder an.
»Das muss im Frühsommer vor zwei Jahren gewesen sein«, antwortete Alexander van der Neer für ihn. »Ich hatte Susanna auf ihrem Mobiltelefon nach mehreren Versuchen erreicht. Sie wirkte richtig verändert, erzählte begeistert. Sie sagte, es sei etwas völlig Neues, was sie dort erfahren habe, bei irgendeiner Vortragsreihe, auf die sie zufällig gestoßen war. Sie sprach von einem spirituellen Weg, der ihr Leben verändern würde.«
Er wurde von einer älteren Dame unterbrochen, die an einem Tisch neben ihnen gesessen hatte. Sie konnte mit ihren vielen Tüten kaum den Tisch verlassen, und einige Tassen und Kännchen wurden von den Einkaufstüten gefährlich gestreift.
Alexander van der Neer fuhr mit seinem Bericht fort: »Susanna blieb länger am Genfer See, darüber machte ich mir jedoch keine Gedanken. Spontan war sie oft. Sie rief von sich aus bei mir an und erzählte mir von ihrem erneuten Anlauf, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Sonst war ich meist derjenige, der ihr hinterhertelefonieren musste. Deshalb war ich sehr überrascht und wertete es als positives Zeichen, dass Susanna sich bei mir meldete.«
Die Bedienung trug Teller mit Kuchenstücken an ihnen vorbei, und Lea überlegte sich, ob sie sich ein Stück Käsekuchen bestellen sollte. Irgendwie erschien es ihr jedoch unpassend.
»An einen Erfolg bei diesem neuerlichen Anlauf konnte ich allerdings kaum glauben. Es waren zu viele, die sie bereits unternommen hatte.« Alexander van der Neer machte eine Pause. »Aber ich habe ihr von ganzem Herzen gewünscht, dass es diesmal gelingen würde.«
»Hat sie irgendetwas Konkreteres über diese Person erzählt, die sie getroffen hat, oder über diesen Neuanfang?«
Lea wollte unbedingt etwas Handfestes, Brauchbares zutage fördern, das beim Verständnis der Ereignisse helfen könnte.
»Mir nicht, aber sie hat mit Johannes ausführlicher über diese Ereignisse gesprochen.«
»Das ist richtig«, übernahm Johannes van der Neer wieder das Gespräch. »Diese Person, die sie bei dem Vortrag kennengelernt hatte«, erzählte er weiter, »beschäftigte sich wohl mit alten Texten. Die Schriften behandelten offenbar Themen, die auch Susanna immer wieder beschäftigten: Schuld und Vergebung, Tod, Auferstehung, Gerechtigkeit. Der Teufel in seinen verschiedenen Gestalten.«
Die Bedienung brachte den Kaffee und legte einen Kassenbon unter jede Tasse.
»Der Teufel?« Lea war gespannt.
»Ja, besonders der Teufel hat sie sehr beschäftigt – Verführung, Verrat, Täuschung und Betrug. Außerdem hatten diese Texte etwas mit einem Spiel zu tun, dem Spiel des Lebens oder so ähnlich.« Johannes van der Neer stockte.
»Was musste Ihre Schwester eigentlich in Ordnung bringen?«, forschte Lea weiter.
»Vieles, nach ihrer Auffassung. Wie Sie vielleicht wissen, hatte Susanna zwei Abtreibungen hinter sich und hat auch sonst einiges erlebt, was sie im Rückblick belastete. Sie quälte sich zunehmend mit Gewissensbissen.«
Lea nickte. So weit passten die Ausführungen zu den Ereignissen in ihrer Praxis.
»Wie Sie wissen, bin ich Priester. Susanna war mehrfach bei mir in Passau. Wir haben fast nur über Sünde, Reue und Vergebung gesprochen. Sie hat sich mit den zehn Geboten beschäftigt, besonders mit dem fünften Gebot ›Du sollst nicht töten‹.«
»Konnten Sie ihr helfen?«
»Das weiß ich nicht. Es gab eine Menge Schwierigkeiten, die nicht behoben waren. Ich habe gespürt, dass sie sich grundsätzlich auf ihrem Lebensweg verirrt hatte, dass sie zu ihrem Leben zurückzufinden
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