Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
später hat Susanna mir gegenüber etwas Entsprechendes angedeutet.«
»Wie kam es, dass Ihre Schwester dieser Ellen so uneingeschränkt vertraute und nicht Ihnen, ihrem Bruder glaubte?«, wunderte sich Lea.
»Ich denke, dass Ellen Susanna schon längere Zeit manipuliert hatte. Sie schmeichelte Susanna, setzte sie unter Druck, verbündete sich mit ihr, schmollte dann wieder, sonderte sie von ihren Freundinnen ab. Immer häufiger gab sie die Richtung vor und festigte ihren Einfluss auf Susannas Leben. Man hatte den Eindruck, Susanna sei ein Schatten von Ellen.«
»Wie hat sie das fertigbekommen?«
Alexander van der Neer dachte einen Moment nach.
»Das Entscheidende nach meiner Einschätzung war, dass sie Susanna schließlich vermittelte, für ihr Glück oder Unglück verantwortlich zu sein.«
Johannes van der Neer schaltete sich ein. »Genau das war die Falle, in die Susanna hineingeriet. Sie konnte es nicht ertragen, dass jemand unglücklich war oder wegen ihr litt. Sofort bemühte sie sich, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihre Umgebung oder ihr Gegenüber wieder zufrieden zu sehen.«
Lea konnte sich die Situation gut vorstellen.
»Das hat Ellen damals mit einem sicheren Instinkt erfasst. Es waren ihre persönlichen Daumenschrauben, die sie Susanna angelegt hat«, setzte Alexander van der Neer seinen Bericht fort. »Hinzu kam noch, dass Susanna sich überhaupt nicht vorstellen konnte, warum Ellen mich fälschlich beschuldigen sollte. Weil sie sich das nicht erklären konnte, musste in ihrer Vorstellung etwas Wahres an der Anschuldigung sein. Außerdem war sich Ellen Jabowski offenbar sicher, dass Susanna Schwierigkeiten haben würde, offen über diese ungeheure Anschuldigung zu sprechen. Wir haben die Einzelheiten, die sie Susanna darüber erzählt hat, erst viel später erfahren und auch, dass Susanna davor zurückgeschreckt ist, meinen Eltern von dem Vorwurf zu erzählen. Die ganze Inszenierung war ein perfides Spiel aus Anklage, Andeutung, Gekränktheit und Vorwurf.« Die Hände Alexander van der Neers hatten sich um eine Serviette geschlossen; man sah die Venen an seinem Handrücken deutlich hervortreten. Er machte eine Pause und ließ die Serviette auf den Tisch fallen. »Danach ging alles ganz rasch. Susanna teilte unseren Eltern mit, dass sie zusammen mit Ellen in eine Wohngemeinschaft in Frankfurt ziehen würde, sobald sie achtzehn Jahre alt sei.«
»Gab sie Ihren Eltern gegenüber irgendwelche Gründe für ihre Entscheidung an?«, wollte Lea wissen.
»Nein, nichts. Meine Eltern waren natürlich entsetzt. Unsere Mutter wusste sicher, dass diese Entwicklung mit Ellen zu tun hatte, konnte aber aus Susanna kein Wort herausbringen. Nicht nur sie, wir alle hatten Mühe zu begreifen, was da geschah. Susanna brach mit allem. Mit einer Kompromisslosigkeit, die in ihrer Persönlichkeit sonst überhaupt nicht vorhanden war. Sie spielte nicht mehr Geige, ging nicht mehr mit ihren anderen Freundinnen aus und war nur noch mit Ellen unterwegs.«
»Eine Art Hörigkeit«, kommentierte Johannes die Schilderungen seines Bruders.
»Unsere Eltern versuchten alles Mögliche. Mutter ist mit Susanna nach Florenz gefahren, zu den Geschäftspartnern meiner Eltern, damit sie abgelenkt wird und wieder zur Vernunft kommt. Aber daraus wurde nichts. Susanna ist früher abgereist und am Tag ihres achtzehnten Geburtstages dann ausgezogen. Unsere Mutter hat tagelang geweint. Wieso nur? Das wurde zur Überschrift für ihr Leben, bis sie starb. So absolut war diese Trennung, dass es keine Begründung für sie gab, die auch nur annähernd als Antwort in Frage kam. Susanna hatte die Schule abgebrochen, und wie wir von ihren Freundinnen hörten, schlug sie sich mit allen möglichen Gelegenheitsjobs durch. Ein Jahr später hat sie sich glücklicherweise wieder an der Schule angemeldet und ihr Abitur sogar glänzend bestanden. Unsere Familie hatte das ganze Jahr so gut wie nichts von ihr gehört. Es war, als habe der Erdboden sie verschluckt – oder eher die Unterwelt.«
Alexander van der Neer ließ das letzte Wort nachklingen und setzte dann seine Erinnerungen an die damaligen Geschehnisse fort.
»Unser Vater war es, der diesen für ihn völlig unbegreiflichen Zustand nicht mehr länger ausgehalten hat. Johannes, am besten erzählst du weiter, du warst an diesem Abend dabei.«
Johannes schluckte und begann mit rauer Stimme zu sprechen: »Vater und ich fuhren nach Bockenheim, nachdem wir Susannas Adresse ausfindig gemacht
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