Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Leben werde ich Bibliothekarin oder Archivarin, überlegte sie. Sie stellte sich eine riesige Bibliothek vor, mit hohen Regalen und Tausenden von Büchern, in die man sich vergraben konnte. Mal unsichtbar sein und stundenlang in Geschichten stöbern.
Lilly stupste sie wieder mit der Schnauze an. »Und, was hast du für ein Problem? Gassi gehen oder fressen?« Der Hund blickte sie erwartungsvoll an und wedelte heftig mit dem Schwanz. »Lilly, wenn du so weitermachst, fällt er dir irgendwann noch mal ab. Und dann hat es sich ausgewedelt.« Lilly wedelte zur Antwort noch stärker mit dem Schwanz und begann Leas Handrücken systematisch abzulecken, erst vom Daumen bis zum Handgelenk und dann vom Mittelfinger bis … »Gut, gut, ich gebe mich geschlagen! Also das volle Programm: Spaziergang und etwas zu fressen.«
Susanna parkte in Frankfurt am Merianplatz. Das Frauenzentrum hatte noch geöffnet. Sie trat in die Eingangshalle, steuerte auf das Büro der Leiterin zu und öffnete entschlossen die Tür.
»Ist gut, es bleibt bei dem Termin am Mittwoch, ich sehe zu, dass ich ein paar Typen von der Zeitung herlotsen kann. Bis dann.«
Ein missbilligender Blick traf Susanna, aber sie hatte es nicht anders erwartet.
»Was willst du hier?«
»Ich möchte mit dir reden.«
»Ich habe keine Zeit, ich habe eine Präsentation unserer Arbeit für die Stadt vorzubereiten.« Demonstrativ widmete sich Cleo Hollmann wieder den Kurslisten, die vor ihr lagen.
»Ich bin im ISG, bei Marcion.«
»Ich weiß.«
»Cleo, bitte, du bist die Einzige, die dabei war, damals. Warum habt ihr das gemacht?«
Widerwillig blickte Cleo Hollmann auf. Eine steile Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen. »Was denn? Sag mal, was willst du eigen t lich von mir?«
»Wie konntet ihr damals so sicher einen Weg vorgeben, der für manche von uns direkt in die Katastrophe geführt hat?«
»Schätzchen …«
»Nenn mich nicht Schätzchen!«
»Na gut, Prinzessin. Wir haben damals für die Gleichberechtigung gekämpft, die Befreiung aus den Zwängen einer bürgerlichen Existenz, gegen die Unterdrückung durch die Männergesellschaft und die Doppelmoral und … Soll ich weiterreden?«
Susanna schluckte. »Aber ihr habt gekämpft, angeblich gekämpft, für Frauen, denen ihr überhaupt nicht zugehört habt. Wir waren für euch eine Masse, nichts weiter.«
Cleo Hollmann stand von ihrem Stuhl auf und lehnte sich über den Schreibtisch. »Was denkst du dir eigen t lich? Dass man bei umwälzenden gesellschaf t lichen Bewegungen die Hand von jeder einzelnen Frau hält, die heult, weil sie so sensibel ist? Hast du das erwartet?«
»Ich dachte, es ginge euch um …« Susannas Stimme wurde brüchig, sie konnte hier kein Verständnis erwarten. Sie drehte sich um und ging hinaus. Die Tür des Büros blieb offen stehen.
Wieder hörte sie die innere Stimme. »Ich muss die Kette abstreifen, diese Fessel aus falschen Gedanken und Irrtümern, dann verlässt mich möglicherweise der Teufel.«
Es war Mittwoch, und es war bereits 8 Uhr 30. Zeit, die verrinnt wie bei Salvador Dalí? Schön wär’s, dachte Lea verstimmt. Heutzutage wird sie mit Hochdruck durch Röhren gepresst, um mit hoher Fließgeschwindigkeit die Turbinen des Alltags anzutreiben … Von wegen »Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss«! Sie packte die restlichen Utensilien in ihre Praxistasche und schloss die Haustür ab. Auf dem Weg in die Augustinerstraße fiel ihr auf, dass Giulio schon lange nicht mehr aufgetaucht war. Sie vermisste sein gut gelauntes »Ciao, bella!« und natürlich die kulinarischen Köstlichkeiten, die er in die Praxis zu bringen pflegte. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Berufsbedingt witterte sie überall Katastrophen.
Kurz vor elf verabschiedete Lea eine Patientin, die zum ersten Mal bei ihr gewesen war. Durch jahrelange Überforderung mit der Pflege ihrer Eltern neben der eigenen Berufstätigkeit waren die Kraftreserven vollständig aufgebraucht. Mit der Befürchtung, an einer organischen Erkrankung zu leiden, hatte sie den Weg in die Praxis gefunden. Auf die Idee, dass sie sich jahrelang maßlos überfordert haben könnte, war sie niemals gekommen. Nachdem Lea verschiedene Untersuchungen angeordnet und ein vorläufiges Therapiekonzept mit ihr besprochen hatte, war sie auf die Notwendigkeit regelmäßiger Erholungsphasen eingegangen.
Diese Erläuterungen im Kopf, fand Lea, dass es Zeit für den nächsten Kaffee war, und da die Kaffeekanne im Sozialraum noch gut
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