Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Portemonnaie, Schlüsseln und Kosmetikutensilien. Die Telefonnummer, wie war die noch mal? Sie hatte ihr Handy in der Hand und atmete auf. Die Nummer war gespeichert, die Verbindung kostete sie nur ein kurzes Antippen der Okay-Taste.
»Ich bin es, du musst mir helfen.«
»Was ist denn jetzt schon wieder? Ruf doch Jemina an.«
»Cleo, ich glaube, ich werde verrückt! Ich kann schon nicht mal mehr meine Arbeit orden t lich machen, ich muss einen klaren Kopf behalten. Der Teufel … seine Gestalt … seine Herrschaft … Ich brauche Hilfe.«
»Okay, ich gebe dir jetzt eine Adresse in Mainz durch, da kannst du hingehen, wenn du Jemina nicht erreichst. Sag, ich hätte dich geschickt.«
Susanna nickte, ohne das Gehörte wirklich verstanden zu haben, notierte, was ihr diktiert wurde und drückte dann ohne weiteren Gruß die rote Taste. Sie überquerte die Uferstraße und stieg in ihr Fahrzeug ein. Zwischen den glitzernden Bürotürmen, den modernen Glaskonstruktionen stand der Frankfurter Dom aus dunklem Sandstein, ein Relikt aus vergangener Zeit.
Die Augustinerstraße war bereits weihnachtlich geschmückt. Lea trat hinaus auf die lebhaft bevölkerte Einkaufsmeile. Eigentlich hatte sie doch den Weihnachtsbaum gerade erst an die Straße gestellt, damit die Männer von der Stadtreinigung ihn einsammeln konnten? Jetzt war es schon wieder so weit. Lea ging es wie den meisten Menschen vor Weihnachten: Die Suche nach den passenden Weihnachtsgeschenken, das Einpacken, Verschicken, das Aufbewahren von Kassenzetteln für den vorhersehbaren Fall eines Umtauschs, die Weihnachtsgrüße und nicht zuletzt die festliche Hausdekoration, auf die die Kinder bestanden. Diese Dinge hatten den Effekt, dass Lea Weihnachten ungefähr so vergnügt entgegensah wie einer Speicherentrümpelung.
»Du, Mama, freust du dich auch so doll auf Weihnachten?«, hatte Frederike sie vorgestern gefragt.
»Klar, Schätzchen«, hatte Lea gelogen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Den Klängen von »Stille Nacht« und »Ihr Kinderlein kommet« konnte man nirgends entfliehen. In den Supermärkten gab es zwar überwiegend die amerikanische Version in Form von »Jingle Bells« als kleine Abwechslung, dennoch hatte die ununterbrochene Beschallung zur Folge, dass sie am Heiligen Abend die Weihnachtslieder kaum mehr ertrug. Schade eigentlich, dachte Lea, so verlieren sie ihre Magie, all ihre Kraft, die nur zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Wirkung entfaltet.
Eine halbe Stunde später war sie mit Lilly bei unangenehm feuchtem Nieselregen am Rheinufer unterwegs. Obwohl Lea das Laufen mit der Regenjacke, deren Kapuze ständig an der Stirn klebte, nicht unbedingt mochte, war die heutige Joggingeinheit dringend erforderlich. Sie steigerte das Tempo und spürte die wohltuende Anstrengung in den Beinen.
Die Lastkähne auf dem Rhein bemerkte man zuerst am Motorengeräusch, so schlecht war die Sicht. Ab und zu ertönte ein Nebelhorn. Wie aus dem Nichts tauchten die grauen Schatten der Schiffe auf, um vorbeizugleiten und wieder im Nebel zu verschwinden. Die Theodor-Heuss-Brücke war nur an vereinzelt durchschimmernden Laternen zu erkennen.
Nebelwanderungen! Leas Gedanken spazierten zurück. Das Studium, die Wohngemeinschaften, die Diskussionsrunden … Und die Selbstfindungsreisen nach Indien, die Lea ausgelassen hatte, aller verklärten Berichte der Kommilitonen zum Trotz. Die Vorstellung des Elends, das sie dort erwarten würde, der bettelarmen Menschen am Straßenrand, der Kranken und Sterbenden neben knatternden Fahrzeugen und lärmenden Händlern hatte sie abgeschreckt; sie war nicht überzeugt gewesen, sich auf Gurus und gemeinschaftliche ekstatische Erlebnisse konzentrieren zu können. Abgesehen davon, dass sie fand, sie sei ohnehin nicht der Typ für Ekstase. »Ach, komm doch mit! Wenn du erst mal dort bist, sieht das ganz anders aus!« Es klang ihr noch im Ohr. Aber sie wurde störrisch, wenn aus einer Idee ein Glaubenssatz wurde. Da geht es mir wie Ullrich, erinnerte sie sich an seine Worte, wahrscheinlich verstehen wir uns aus diesem Grund so gut.
Plötzlich ertönte hinter ihr eine schrille Fahrradklingel, und Lea sprang erschrocken zur Seite. Ein Fahrradfahrer im sportiven, hautengen Raddress schoss an ihr vorbei, nicht ohne die Hand zu einem Dankesgruß für ihr nicht ganz freiwilliges Manöver zu heben.
Vielleicht ist Misstrauen gar nicht so schlecht? Was hatte Ullrich von Arthur Schopenhauer zitiert? »Zwang ist der unzertrennliche Gefährte jeder
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