Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
letzten Rest Kaffee aus und stellte seine Frühstückstasse ab.
»Ich weiß nicht; rechte Lust habe ich nicht. Das Thema ist spannend, gerade nach dem, was Elisabeth mir alles über Sekten erzählt hat, und ich habe Elisabeth schon lange nicht mehr gesehen, aber andererseits …«, Lea setzte sich auf den Küchentisch und ließ die Beine baumeln, »ein freier Tag mit euch wäre auch ganz schön.« Sie griff nach einem halben Croissant, das übrig geblieben war, und zupfte kleine Stückchen heraus.
»Dann ruf Elisabeth an, und sag ihr ab. Ihr könnt euch ja einfach mal so treffen, privat. Komm, Lea, es ist Adventszeit! Wir könnten später auf dem Weihnachtsmarkt einen Glühwein trinken, und du kannst am Kamin lesen.«
Die Sören’sche Bestechungsvariante war kaum zu überbieten, aber Lea blieb, wenn auch etwas widerwillig, pflichtbewusst.
»Ich habe mich mit Elisabeth fest verabredet, sie hat mich bereits angemeldet, und außerdem hat sie ausführlich für mich recherchiert.«
Sie machte eine Pause, und Sören merkte prompt, dass sie sich noch nicht endgültig entschieden hatte.
»Ach, Lea, komm, ruf Elisabeth an, und lade sie die nächsten Tage einfach zu uns ein. Sie kann dir vom Workshop berichten, und ihr trinkt dabei in Ruhe einen Kaffee.«
Sören kannte genügend Zauberworte, die ihre Macht auf Lea selten verfehlten. Und er kannte die Macht der Perseveration. Dieses häufige Wiederholen des gleichen Inhalts hatte ihr Ältester, Jonas, bereits im Alter von drei Jahren als unschlagbares Werkzeug zur Durchsetzung seiner Interessen entdeckt, da es völlig unangreifbar durch jedwede Argumentation war. Er hatte sich einen großen grünen Polizeibus mit vergitterten Fenstern gewünscht, die ihm aus unerfindlichen Gründen unverzichtbar waren. Drei Wochen vor seinem Geburtstag hatte er begonnen, den jeweils anwesenden Elternteil zu bombardieren: »Polizeibus, Polizeibus, Polizeibus …«. Täglich, stündlich wurde der Wunsch vorgetragen. Die vergitterten Fenster hatten sich als schwieriges Detail herausgestellt, aber über einen Versandhandel hatten sie ein entsprechendes Exemplar ordern können. Sören und Lea waren sich darüber im Klaren gewesen, dass dieses Erfolgserlebnis ihres Sohnes die zukünftige Erziehung erheblich erschweren würde. Allerdings hatten sie beide die aussichtsreiche Variante der Durchsetzung in ihr eigenes Repertoire übernommen, was einen befriedigenden Ausgleich für die Kapitulation schaffte.
Lea hatte den Rest des Croissants verspeist und nahm sich von Maries Teller die übrig gebliebene Hälfte eines Schokohörnchens.
»Ich hätte einen Kompromiss anzubieten. Ich fahre zu Elisabeth, bleibe bis 15 Uhr, komme nach Hause, und dann gehen wir auf den Weihnachtsmarkt, einen Glühwein trinken. Wie ist die Idee?«
Sie hatte sich nun auch den Rest des Schokohörnchens in den Mund gesteckt und schaute ihren Ehemann fragend an. Nach zwanzig Jahren des Jonglierens mit den Bedürfnissen der Menschen um sich herum hatte Lea ein ausgeklügeltes Zeitmanagement entwickelt, das mit kleineren Verschiebungen und Verknappungen arbeitete und dennoch am Ende ein Konstrukt zutage förderte, bei dem sich jeder berücksichtigt fühlte; eine erstaunliche und ihrer Meinung nach viel zu wenig gewürdigte Meisterschaft.
»Na schön, wenn ihr das abgemacht habt«, brummte Sören verhalten unwillig. Er nahm sich die Zeitung vom Küchentisch und wollte die Küche verlassen.
»Sören, bitte«, versuchte Lea ihn aufzuheitern, »so oft bin ich ja nicht unterwegs.«
»Da hast du auch wieder recht, ich bin ja hier der Nestflüchter.« Sören kam zurück und gab ihr einen Kuss auf die Nase. »Also sieh zu, dass du wegkommst. Ich frage mal nach, ob mein Sohn mit mir Tennis spielt, dann kann ich einen Platz in der Tennishalle reservieren.«
Lea ging nach oben ins Schlafzimmer, zog sich eine dunkelblaue Jeans, einen warmen Rollkragenpullover und darüber eine Sweatshirtjacke an. Erfahrungsgemäß war es in Vortragssälen ausgesprochen kühl.
Zehn Minuten später saß sie in ihrem Wagen. An diesem Samstagvormittag waren die Straßen weniger überfüllt als sonst, und so kam sie zügig über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz-Kastell. Als sie über den Rhein fuhr, warf sie einen Blick aus dem Seitenfenster. Die Büsche der Rheininseln standen tief im Fluss. In ihrem nächsten Leben würde sie eine Kunsthochschule besuchen und lernen, solche Stimmungen und Eindrücke festzuhalten.
Ein Kreisel am Ende der
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