Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
hinweggeflogen.
Sie nahm einen Band über Frida Kahlo heraus. Der gebrochene Lebensweg.
Zwölftes Kapitel
Die Tagung war gut besucht. Lea schätzte, dass sich circa 200 Personen bereits in dem großen Vortragssaal eingefunden hatten. Die Teilnehmer kamen von der Jugendfürsorge, der Polizei, von kirchlichen Organisationen oder Selbsthilfegruppen, es waren Psychologen, Sozialpädagogen, Mitarbeiter der Familienhilfe und auch einige Lehrer darunter. Die Schar derer, die sich mit gestrandeten Existenzen befasste, war enorm.
Lea hatte Elisabeth in einer der vorderen Sitzreihen entdeckt und war dankbar, dass sie ihr einen Platz freigehalten hatte.
»Hallo, Lea, grüß dich. Prima, dass es bei dir geklappt hat.«
»Grüß dich, Elisabeth, es war nicht so leicht, mich heute aufzuraffen. Die Vorstellung, mich einfach umzudrehen und auszuschlafen, war doch sehr verführerisch.«
Elisabeth verzog ihr Gesicht.
»Aber die Aussicht auf ein Treffen mit dir hat mich überzeugt.«
»Dann bin ich ja beruhigt.«
Elisabeth nahm aus ihrer Tasche einen Block und einen Kugelschreiber, da am Rednerpult der erste Vortragende sein Manuskript zurechtlegte. Aber noch war es nicht so weit.
»Außerdem haben die letzten Informationen über Geheimbünde und Teufelsanbeter mich neugierig gemacht«, fuhr Lea fort. »Ein schwerer Schlag für die Aufklärung, die schon vor über 200 Jahren der Meinung war, sie könnte die Dämonen und Geister ein für alle Mal abservieren.«
»Die Aufklärung hat ihre Rechnung ohne die Menschen gemacht. Die meisten sind gar nicht so an Aufklärung interessiert, wie wir immer denken«, wandte Elisabeth ein. »So eine Hexe hier und ein kleiner Wassergeist da … Denk doch nur an die riesige Fangemeinde der Zauberer, Elfen und Feen. Wer möchte nicht Geschichten über magische Geschöpfe lesen?«
»Na ja, aber das ist Unterhaltung, das sind Kindergeschichten und Jugendbücher.«
»Bist du dir wirklich sicher?«, gab Elisabeth zu bedenken. »Ich glaube, viele haben ein Bedürfnis nach Magie, das macht den Alltag spannender, das Leben erträglicher und geheimnisvoller. Magie verwischt die Grenze unseres Daseins.«
Nun wurde es ruhig im Saal, und Lea ließ sich neben Elisabeth auf den Holzstuhl sinken, der ebenso unbequem war wie er aussah. Ihre Freundin hatte das Programm des Veranstalters in der Hand und tippte mit dem Finger auf eine Textzeile. »Ich bin gespannt auf den ersten Beitrag«, flüsterte sie. »Du wirst es nicht bereuen, dass du hergekommen bist. ›Sekten als kriminelle Vereinigung‹ von Professor Wiegand. Der war früher im Polizeipräsidium Mainz, und ist nun seit drei Jahren beim Bundeskriminalamt.«
Lea wurde neugierig. Hörte sich spannend an. Sie versuchte, auf dem harten Holzstuhl eine bequeme Sitzposition zu finden.
Am Rednerpult schaltete der Sektenbeauftragte der Evangelischen Landeskirche das Mikrophon ein und begann mit der Begrüßungsansprache. Der anschließende Vortrag Professor Wiegands war in der Tat spannend und brachte eine Menge neuer Details zur Strategie von kriminellen Sekten ans Licht.
»Über ein Prozent unserer Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren sind auffällig, im Sinne von gesellschaftsablehnender Haltung und entsprechenden Verhaltensweisen. Mit Schuleschwänzen, kleineren Diebstählen, Drogenkonsum, Herumtreiben wird eine Grenze überschritten und der Point of no return erreicht. Genau diese Jugendlichen sind auch eine Zielgruppe für, wie wir sie nennen, ›primär ausbeutende Sekten‹, die mit selbstgebastelten Heilslehren, ausgefeilter Hierarchie und einem komplexen Konzept die Jugendlichen gezielt auswählen, an sich binden und ausbeuten. Dabei stehen Isolation von der Peergroup, meist der Clique, natürlich auch von der familiären Umgebung, im Vordergrund.« Professor Wiegand klickte bei seiner PowerPoint-Präsentation die nächste Statistik an. »Bei der Art der Ausbeutung gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Die jungen Mädchen oder Frauen werden häufig sexuell ausgebeutet, haben eine Art Tempeldienst zu verrichten, den sich die Organisation von den ›Besuchern‹ teuer bezahlen lässt. Das geschieht Schritt für Schritt, teilweise werden antike Vorbilder des Vestalinnenkultes zur ideologischen Verschleierung bemüht. Die jungen Männer werden in sekteneigenen Betrieben eingesetzt, unentgeltlich versteht sich, und haben die Verpflichtung, neue Mitglieder zu werben.«
Auf der Projektionsfläche erschien das Balkendiagramm mit einer
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