Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
war Sören ausnahmsweise zu Hause. Lea hatte ihm kürzlich scherzhaft vorgeschlagen, angesichts seiner häufigen Abwesenheit sein Arbeitszimmer und seinen Teil des Schlafzimmers an einen Untermieter abzugeben – natürlich an einen Untermieter ihrer Wahl –, hatte damit aber erheblichen Protest ausgelöst, zumindest in Hinblick auf das Schlafzimmer.
Seine Anwesenheit war ihr insofern willkommen, als Lea sich entschlossen hatte, zu der Konferenz über Sekten zu fahren, zumal sie über Elisabeth bereits angemeldet war. Obwohl ihre Umgebung sie dazu erziehen wollte, ihr gluckenhaftes Verhalten abzulegen, fuhr sie entspannter zu einem Termin, der weiter als fünfhundert Meter von ihrem Haus entfernt war, wenn sie die Kinder unter väterlicher Aufsicht wusste.
Am Samstag, dem 6. Dezember, klingelte der Wecker also um 6 Uhr 30. Kurz darauf war sie gemeinsam mit Sören, der, anders als sie selbst, mit dem ersten Augenaufschlag hellwach war und seinen Schlafbedarf gerne mit demjenigen Napoleons und anderer bedeutsamer Persönlichkeiten verglich, und Lilly im Laufschritt unterwegs. Es bevölkerten schon zahlreiche Jogger und Nordic-Walker die Wege, aber erfreulicherweise hatte Lilly es sich abgewöhnt, diese wegen ihrer Stöcke anzubellen.
Die Hündin war direkt hinunter zum Rheinufer gesprungen und schnupperte begeistert an einem Vogelkadaver, der schon einige Zeit dort gelegen haben mochte. Ob es sich um eine Taube oder eine der vielen Möwen handelte, die über dem Rhein kreisten, war nicht mehr erkennbar. Da Lilly sich weder durch einen schärferen Befehlston noch durch Bestechungsversuche mit Schinkenstückchen bei ihrer Beschäftigung stören ließ, kletterte Sören die glitschige Uferböschung hinab. Da der Hund das herannahende Herrchen als Vorzeichen eines spannenden Verfolgungsspiels einschätzte, schnappte er sich erfreut einen zerfledderten Flügel und sprang damit am Ufer entlang.
»Igitt, Lilly, wie eklig«, rief Lea, »Sören, komm, lass sie, wenn sie den Eindruck hat, dass du den Vogel auch haben möchtest, spielt sie noch viel länger damit herum.«
Sören blickte ratlos den schwanzwedelnden Hund mit der makabren Beute im Maul an. Dann entschied er sich für die von Lea vorgeschlagene, pädagogisch korrekte Variante und stieg die Uferböschung wieder empor. Lilly blickte ihm sichtlich enttäuscht hinterher, ließ dann ihr unappetitliches Spielzeug fallen, um einem Pudel entgegenzulaufen, der ordnungsgemäß an einer Leine spazieren geführt wurde.
»Ein bisschen besser könnte sie ja schon hören«, beschwerte sich Sören, als sie wieder nebeneinanderher joggten. Nur die Geräusche des Ein- und Ausatmens und das Knirschen der Laufschuhe auf dem Schotterboden waren zu vernehmen. Der Weg führte steil bergan, da sie vom Rheinufer in Richtung Volkspark liefen. Sie mussten sich anstrengen, um das Tempo halten zu können. Am Ende der Steigung tauchte eine breite Treppe auf, die innerhalb der Familie »Rockytreppe« genannt wurde, nach dem Boxerfilm »Rocky« mit Sylvester Stallone. Der Hauptdarsteller saust gegen Ende seiner Fitnesseinheit, unterstützt von einem grandiosen Soundtrack, die Stufen zum Kapitol hinauf, zum Zeichen seines Sieges über die Selbstzweifel.
Deutlich heftiger atmend als Stallone und ohne musikalische Unterstützung erreichten Lea und Sören die letzten Treppenstufen. Ausgepumpt, erhitzt, aber einigermaßen zufrieden über diese sportliche Wochenendleistung standen sie auf einer Anhöhe über dem Rhein, direkt gegenüber der Mainmündung. Dieser Blick wurde auch nach Jahren nicht langweilig. Die blasse Dezembersonne ging in Mainz-Kostheim über den Bäumen auf, und ein milchiges Licht breitete sich über dem Fluss aus. Lea nahm Lilly an die Leine, und gemeinsam trotteten sie gemächlich nach Hause.
Das Frühstück fiel für die ganze Familie üppig aus, da Leas Abwesenheit ein ordentliches Mittagessen unwahrscheinlich machte. Nachdem die muntere Runde einschließlich Hund ihren Energiehaushalt wieder in Ordnung gebracht hatte, räumten Lea und Sören gemeinsam den Frühstückstisch ab. Die Kinder hatten ihre Teller auf der Arbeitsplatte abgestellt und damit ihren Beitrag zum Abräumen als erledigt betrachtet. Lea ließ sie gehen, ihr war nicht nach der üblichen Aufräumdebatte zumute.
»Hast du denn Lust auf diesen Workshop oder die Vorträge heute mit Elisabeth? Jetzt sind wir alle mal zu Hause, da könnten wir doch zusammen etwas unternehmen?«
Sören trank noch den
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