Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Brücke lenkte ihre Aufmerksamkeit von einem ihrer zahlreichen Berufswünsche für eines ihrer zahlreichen nächsten Leben zurück zum Straßenverkehr. Sie ordnete sich links ein, folgte der Hauptstraße und fuhr weiter zum Autobahnanschluss Richtung Frankfurt.
Am Main-Taunus-Zentrum, vor dessen Parkplätzen sich immer eine Verkehrsschlange bildete, bog sie Richtung Königstein ab. »So, jetzt bitte Konzentration«, ermutigte sich Lea, die mit ihrer Abneigung gegen unbekannte Gebiete, geistige ausgeschlossen, keine Aufnahme bei den Pfadfindern gefunden hätte. Auf der Skizze, die Elisabeth ihr gefaxt hatte, war das Tagungszentrum etwas außerhalb von Königstein eingezeichnet. Elisabeth hatte ein fettes Kreuz eingezeichnet und noch »Hier« mit drei Ausrufezeichen danebengeschrieben.
Lea fuhr die B 8 in Richtung Königstein, folgte der Hauptstraße in Richtung Oberursel. Am Ortsausgang sollte sie laut Skizze nach etwa zweihundert Metern in einen Privatweg einbiegen, der zum Tagungsort führen würde. Es hatte zu regnen begonnen. Da es in diesem wie auch den letzten Wintern stetig über null Grad war, konnte man sogar auf dem immerhin 800 Meter hohen Taunus keinen Schnee erwarten. Früher war Lea regelmäßig mit ihren Eltern auf dem Feldberg Schlitten gefahren, und sie konnte sich bestens an kaltgefrorene Nasen und eisige Fußzehen, aber auch an die Wohltat von heißem Kakao erinnern.
»Trostloses Wetter!« Sie bekam große Lust, bei der nächsten Wendemöglichkeit umzukehren, mit ihrem Ehemann einen Bummel durch die Mainzer Altstadt zu machen und anschließend in einem warmen Café am Domplatz einen Latte Macchiato zu trinken. Und den Glühwein könnte man sicher auch noch unterbringen. Leas reizvolle Vision wurde plötzlich durch einen Wagen zunichte gemacht, der sich zügig ihrem eigenen näherte und bis auf einen halben Meter an die Stoßstange heranfuhr. Da das Wenden schwierig werden würde, gab Lea dem unangenehmen Gefühl, geschoben zu werden, nach und trat aufs Gaspedal.
Wenige Meter weiter sah sie jedoch schon durch die Bäume das Tagungszentrum auftauchen. Auf dem Parkplatz vor einem großen Gebäudekomplex aus rötlichem Backstein, der von hohen Fichten umsäumt war, entdeckte sie Elisabeths alten Volvo. Dieser stand leicht verbeult und mit erheblichen Schmutzablagerungen schief in einer Parklücke. Lea erheiterte der Anblick des Fahrzeugs. Elisabeth, die bei ihren Recherchen so akkurat und detailbesessen war! Gerade, als sie aussteigen wollte, meldete sich ihr Handy.
»Johannsen.«
»Frau Doktor, ich bin es, Ingrid Kaspari, entschuldigen Sie bitte den Überfall am Wochenende.«
»Kein Problem, Frau Kaspari. Was ist denn passiert?«
Frau Kaspari war eine langjährige Patientin von Lea, die sie ins Herz geschlossen hatte. Als Mutter von fünf Kindern hatte sie häufig in einer Wäscherei ausgeholfen und sich durch das Schleppen der schweren Wäschekörbe die Bandscheiben ruiniert. Lea wusste, dass die Patientin nur bei ernsten Schwierigkeiten anrufen würde.
»Ach, Frau Doktor, ich weiß nicht, was ich machen soll. Gestern ist mein Mann auf der Kellertreppe gestürzt und hatte danach eine ordentliche Beule am Hinterkopf. Wir haben einen Kühlpack daraufgelegt, und es ging ihm auch ganz gut.«
»Und was ist jetzt?«
»Als ich ihn eben fragen wollte, was ich zum Mittagessen einkaufen soll, war er ganz merkwürdig, als würde er halb schlafen. Und er hat so … gelallt. Ich habe ihn am Arm gerüttelt, aber er ist nicht richtig zu sich gekommen.«
»Gut, dass Sie angerufen haben, Frau Kaspari! Der Sturz war möglicherweise schlimmer. Das muss auf jeden Fall weiter untersucht werden.«
»Um Gottes willen, was soll ich denn jetzt machen?«
Lea überlegte und entschied, dass sie die notwendigen Maßnahmen per Telefon einleiten würde. Vermutlich handelte es sich um ein epidurales Hämatom, bei dem die Arteria meningea media in ihrem Knochenkanal zerreißt und es zu einer Blutung zwischen dem Schädelknochen und der harten Hirnhaut kommt. Frau Kaspari hatte den typischen Verlauf geschildert.
»Sie warten bitte auf den Notarzt. Ich werde mit der Leitstelle telefonieren und den Kollegen die notwendigen Informationen geben.«
»Und dann? Ist es sehr schlimm?«
»Das kann man so nicht genau sagen, Frau Kaspari, aber wenn wir uns beeilen, wird schon alles gutgehen.«
»Ja, hoffentlich! Vielen, vielen Dank!«
Lea telefonierte umgehend mit der Rettungsleitstelle in Mainz, nannte Name, Anschrift,
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