Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
ich noch einiges erledigen.«
»Na, das klingt doch gut, Frau Ehlers, ich denke, es geht wieder aufwärts.« Mit einem aufmunternden Lächeln reichte Lea ihr die Hand. Hier hatte sie ein gutes Gefühl.
Bei ihrem nächsten Patienten sah es leider nicht so rosig aus. Herr Wegener litt seit fünf Jahren unter einem Morbus Parkinson und konnte trotz einer ganzen Palette wirksamer Medikamente kaum noch seine Hand zum Mund führen. Der früher aktive Sechzigjährige litt massiv unter der Einschränkung seiner Mobilität. Obschon seine Ehefrau ihn liebevoll umsorgte, hatte er Tränen in den Augen, als er vor Lea saß.
Zweites Kapitel
Zwei Stunden später hatte sich das Wartezimmer deutlich geleert, und Lea ging in den Sozialraum, um sich eine große Tasse Kaffee zu besorgen.
»Mama, du bist kaffeesüchtig«, hatte ihre 15-jährige Tochter Marie nicht zum ersten Mal festgestellt, als sie am Morgen den Kaffee nicht mit einem Löffel abgemessen, sondern ihn aus der Tüte direkt in die Tasse befördert hatte. Je nach Müdigkeitsgrad wurde die Dosierung des Pulvers variiert.
»Nur dass du Bescheid weißt, ich trinke den Kaffee nicht zum Genuss, für mich ist er ein Grundnahrungsmittel«, hatte Lea klargestellt. Die Beziehung zum Kaffee definierte sich neu für Menschen, die nachts in einem Krankenhaus gearbeitet hatten.
Als sie nun gerade dabei war, sich im Sozialraum die dritte Tasse Kaffee des Vormittages einzuschenken, kam ihr Kollege um die Ecke geschlendert. Es war offenbar Zeit für seinen Tee. Ullrich Köller, 51 Jahre alt, ein Typ wie ein Schwergewichtsathlet, ziemlich groß und eher »ründlich«, wie Frederike füllige Menschen nannte, war Leas Fels in der Praxisbrandung. Ausschließlich positiv gestimmt absolvierte er sein Tagespensum, blieb dabei überwiegend entspannt und war auch bei den Patienten maximal beliebt. Darüber hinaus war er bestens informiert, sowohl im medizinischen Bereich als auch bei aktuellen Angeboten für französischen Rotwein, insbesondere aus dem Medoc. Außerdem zeichnete ihn eine unerschütterliche Liebe zu seiner quirligen Ehefrau Françoise aus. »Wir sind komplementär und dennoch seelenverwandt«, beschrieb Ullrich ihr inniges Verhältnis. Über weitere Anziehungskräfte, die in seiner Ehe wirksam waren, ließ er seine Umgebung im Unklaren, wenn auch nicht gänzlich, denn es war nicht schwierig, seine Blicke zu deuten, wenn er seiner Frau nachschaute, die auf Schuhen, in denen Lea keine drei Meter hätte laufen können, und in einem Rock, den man ihr vermutlich auf die wohlgeformten Hüften geschneidert hatte, davonschwebte.
»Na, dein wievielter Kaffee ist das heute?« Ullrich tippte Lea freundschaftlich auf den Arm.
»Erst die zweite Tasse«, schummelte sie ohne mit der Wimper zu zucken. »Die Kriminalpolizei war gerade hier, mein erster Termin heute Morgen.«
»O weh!« Ullrich griff nach seiner Teekanne.
»Wirklich o weh. Eine Patientin wurde tot in ihrer Wohnung gefunden. Ein unklarer Todesfall, und es geht wieder einmal um ein Selbstmordmotiv.«
»Nicht schön, so in den Tag zu starten, wo doch draußen die Herbstsonne lacht«, äußerte sich Ullrich mitfühlend. »Doch der Tod hat noch nie Rücksicht aufs Wetter genommen. Auch an schönen Tagen gilt: memento moriendum esse.«
Lea leerte ihre Tasse. »Wirklich Ullrich, ein sehr schöner Spruch!«
Ullrich war als bekennender Lateinliebhaber eine nie versiegende Quelle von Zitaten aller Art.
»Mittelalterliches Mönchslatein, das heißt so viel wie: Gedenke, dass man sterben muss «, gab Ullrich erstaunlich bereitwillig Quelle und Übersetzung preis. Für gewöhnlich musste Lea ihm die zweifelhafte Freude machen, sich mit Übersetzungsversuchen zu quälen, die er mehr oder weniger wohlwollend zu kommentieren pflegte.
»Ah, ja, vielleicht setze ich es als Motto meinen depressiven Patienten vor, das wirkt sicher sehr aufmunternd.«
Ullrich hob den Teelöffel wie ein gestrenger Lehrer den Zeigestock, während er mit der anderen Hand seinen Tee überbrühte. »Sei nicht so sarkastisch, das gehört sich nicht in unserem Beruf.«
Brav nickte Lea und lehnte sich vorsorglich schon einmal entspannt zurück. Wenn Ullrich ein Thema laut dachte, ergaben sich immer Ausflüge der besonderen Art.
»Bei den Mönchen war die Erinnerung an den Tod als Mahnung gedacht, sie hatte vermutlich auch die Wirkung einer Drohung. Ich könnte mir vorstellen, dass die Aussicht, beim Jüngsten Gericht verdammt zu werden und in der Hölle oder
Weitere Kostenlose Bücher