Merani und die Schlange unter dem Meer
Spürst du diese violette Felswand dort? An deren Ende liegt die Höhle!«
»Das ist kein Fels, sondern purer Lir-Kristall! Könnte er geborgen werden, wäre dies ein schier unschätzbarer Reichtum!« Sirrins Staunen brachte Regandhor dazu, näher auf die Kristallwand zuzuschwimmen.
»Das ist ja herrlich! Wenn unsere Aufgabe erledigt ist, möchte ich hier herumstreifen und mir den einen oder anderen Kristall holen. Was sagst du, Argo?«
Dieser nickte und warf den Kristallen einen sehnsüchtigen Blick zu. »Ich werde mir ein Bett aus diesen Kristallen bauen!«
»Für deine jetzige oder deine Menschengestalt?«, fragte Regandhor mit einem geistigen Lachen.
»Für beides!«, antwortete Argo und schwamm auf eine besonders kräftig strahlende Kristallformation zu.
»He, ihr Burschen! Wir haben hier was anderes zu tun, als Klunkersteine anzusehen!« Meranis zorniger Ruf brachte die beiden Arghan dazu, sich von den verlockenden Kristallen abzuwenden und weiterzutauchen.
Careedhal, der ein Stück aufgeholt hatte, hielt ebenfalls auf die Kristallwand zu und fragte sich, ob sie es war, deren Verlockung er gespürt hatte, verneinte es aber. Das, was er suchte, lag sehr viel tiefer. Daher folgte er den beiden Großen und bemühte sich dabei, so viel Magie einzusaugen, wie er nur konnte.
Unterdessen vermochten Regandhor und Argo bereits den Meeresboden unter sich auszumachen und spürten das intensive Grün von Tenarils Körper. »Die schnappst du dir! Ich tauche inzwischen in die Höhle. Steige aber mit dem Mädchen erst auf, wenn ich wieder bei dir bin«, schärfte Regandhor seinem Begleiter ein und schwamm auf das riesige Maul der Lir zu.
»Wie lang mag dieses Wesen gewesen sein?«, fragte Merani Sirrin beeindruckt.
»Ihrem Umfang nach zu schätzen, knapp sechzig Meilen. Damitist sie eine der jüngeren Lir. Es müssen damals auch welche mit mehr als hundert Meilen Länge eingeschlagen haben«, antwortete die Magierin.
»Woher sind diese Lir denn gekommen, und warum haben sie sich auf unsere Länder fallen lassen?«, wollte Merani wissen.
»Das weiß keiner, auch die Lir nicht, die überlebt und sich unserer Welt angepasst haben. Es ist, als hätten sie mit ihren Riesenkörpern auch einen Teil ihres Gedächtnisses verloren. Aber sei jetzt ruhig! Ich muss mich um die Kleine kümmern.« Sirrin fühlte jetzt das aus der Zunge des ehemaligen Ungeheuers herauswachsende Mädchen und tastete vorsichtig danach.
Die Emotionen, die auf sie einbrandeten, waren ebenso fremdartig wie faszinierend. Vor allem aber spürte sie die Todesangst des Wesens. »Vorsicht, Regandhor! Sie bekommt Panik! Wenn die sich auf den Lir-Körper überträgt, siehst du hier den Talien tanzen.«
Regandhor sandte ein Stoßgebet zu seinem ganz speziellen Gott und fasste das violette Mädchen mit seiner linken Vorderpranke. Ihm schien es unfassbar, dass es sich bei diesem zierlichen Ding um den Rest eines sechzig Meilen langen Geschöpfes handeln sollte. Schon die Natur eines Arghan stellte für die normalen Magier dieser Welt ein Rätsel dar. Um wie viel unwahrscheinlicher musste ihnen dieses Wesen vorkommen.
Unterdessen versuchte Sirrin das steinerne Mädchen zu beruhigen, doch dieses wand sich unter ihrem Zugriff, und sie spürte, wie der versteinerte Riesenleib der Lir erschüttert wurde. In ihrer Not wandte Sirrin sich an Merani. »Versuche du es! Immerhin bist du schon bei ihr gewesen.«
Merani stöhnte innerlich auf. Wie sollte sie etwas bewirken können, bei dem selbst eine erfahrene Magierin versagte? Dennoch streckte sie ihre magischen Fühler nach der kleinen Lir aus. »Hallo, ich bin Merani. Wie geht es dir?«
Erneut bebte der Lir-Körper, und einzelne Steine stürzten von der Decke des Höhlenmaules herab.
»Bleib ruhig! Sonst verhinderst du, dass wir dich retten können«, warnte Merani. »Aber dafür muss Regandhor dich von dem Kristallsteg lösen, aus dem du herausgewachsen bist.«
Sie konnte nicht feststellen, ob das Lir-Mädchen begriff, was sie sagte, aber wenigstens fielen keine Steine mehr herab.
Regandhor zögerte einen Augenblick, maß dann die Länge ab, die er den noch in der Steinzunge steckenden Füßen des violetten Mädchens zubilligte, gab noch ein wenig Sicherheitsabstand dazu und knickte den Stein mit einer Vorder- und einer Hinterpranke ab.
Als die Violette die Verbindung zu ihrem Lir-Körper verlor, ertönte ein schriller geistiger Schrei. Im nächsten Moment überschwemmte die Angst des Wesens Regandhors
Weitere Kostenlose Bücher