Merani und die Schlange unter dem Meer
als ein Dutzend Magier nahmen dort Artefakteauseinander und ersetzten verschmorte Kupferverbindungen und gesprungene Steuerkristalle. Zu Tharons Erleichterung kamen sie gut voran. Er lobte mehrere von ihnen und sah, wie deren Gesichter für wenige Augenblicke vor Stolz über das Lob aufglühten. Dann aber zeigten ihm ihre magischen Ausstrahlungen, dass sie sich für diese Gefühle schämten und Angst hatten, dafür Hohn und Spott von ihren Vorgesetzten zu ernten. So kam es, dass Tharon wieder die gleichen mürrischen Mienen um sich sah, die seit jenem Tag, an dem er das Kommando übernommen hatte, alle Magier an Bord zur Schau trugen.
3
Schaut! Endlich kommt Ilynrah in Sicht!« Obwohl die »Blaumöwe« förmlich über das Meer geflogen war, hörte Merani sich so an, als hätten sie eine monatelange Seereise hinter sich.
Innerlich zappelte sie vor Ungeduld, weil sie so schnell wie möglich den Hexenwald aufsuchen und sich mit den Geheimnissen des violetten Kristalls beschäftigen wollte. Für ihr Gefühl blieb nur wenig Zeit, dessen Rätsel zu lösen und einen Weg zu finden, ihre Heimat zu retten. Dabei türmten sich bereits neue Hindernisse vor ihr auf.
Das erste erwartete sie bereits am Hafen. Merani seufzte entgeistert, als sie die vielen Menschen sah, die sich am Ufer eingefunden hatten. Gardisten in schimmernden Harnischen und blauen Schärpen stemmten sich gegen die einfachen Leute, die einen Blick auf die Tochter der sagenumwobenen Mera erhaschen wollten, und am Staatskai stand Kronprinz Wardil mit seinem Gefolge bereit, die Gäste zu begrüßen.
Kapitän Kipan schluckte, als er die Signale sah, die ihn anwiesen,an jener Stelle anzulanden, an der sonst nur das Staatsschiff der Königin liegen durfte. Dieses war beiseitegezogen worden, um Platz für die »Blaumöwe« zu schaffen.
»Passt auf, dass wir nicht gegen den Kai krachen, sonst holt euch der Tenelin«, rief er seinen Matrosen zu.
Sein Steuermannsmaat verzog das sonnenverbrannte Gesicht zu einem Grinsen. »Zu langsam dürfen wir auch nicht sein, sonst verhungern wir ein paar Mannslängen vor dem Kai, und die Leutchen dort müssten uns mit Seilen heranziehen!«
Das war die größte Schande, die die Besatzung eines Schiffes treffen konnte. Kipan schwitzte daher vor Angst, als der Steven der »Blaumöwe« genau auf das Heck des Staatsschiffes der Königin zuhielt. In Gedanken sah er die beiden Schiffe bereits zusammenstoßen.
Sein Steuermannsmaat war jedoch ein auf vielen Fahrten erprobter Seemann, der bereits mit Kipans Vater, dem jetzigen Großadmiral, auf große Fahrt gegangen war. Mit sicherem Blick überwachte er die Geschwindigkeit des Schiffes und wies die Männer mit knappen Befehlen an, die Segel einzeln niederzuholen, bis nur noch der vorderste Klüver den Wind einfing. Mit einer letzten Drehung des Steuerrades lenkte er die »Blaumöwe« parallel zum Kai. Während die Bordwand ganz sacht die ausgebrachten Fender berührte, sprangen Matrosen mit Tauen an Land, wickelten diese rasch um die Poller und zogen sie fest. Mit einem kaum merklichen Ruck hielt die »Blaumöwe« an, schwankte noch einmal leicht und lag dann still.
»Das soll uns erst einmal einer nachmachen, Kapitän!«, rief der Steuermann laut genug, damit es auch die Männer an Bord des Staatsschiffes hören konnten. Die Kerle dort bildeten sich wunder was ein, weil sie auf dem Segler der Königin dienten, waren aber in den Augen des erfahrenen Maates nicht mehr als Süßwassermatrosen.
»Danke!« Kipan tippte kurz mit zwei Fingern an seinen Hutund trat dann auf Merani und ihre Freunde zu. »Ich melde Eurer Kaiserlichen und den Fürstlichen Hoheiten, dass wir im Hafen von Ilynrah angelegt haben«, sagte er, klemmte sich seinen Hut unter den Arm, und machte Platz, um Merani, Argeela und Careedhal vorbeizulassen.
»Danke, Kapitän! Ich werde Ihre Fürsorge lobend erwähnen.« Merani schritt an Kipan vorbei über die mit blauen und schwarzen Girlanden umwundene Gangway. Argeela und Careedhal folgten ihr auf dem Fuß, während Qulka mit dem gesamten Gepäck auf dem Rücken als Letzte hinter ihnen herstapfte.
Den Bewohnern von Ilynrah waren Gurrländer nicht unbekannt. Vor sechsunddreißig Jahren waren diese als Eroberer gekommen und später als Handelsschiffer. Aber ein gurrländisches Mädchen, das mehr schleppte, als der stärkste von ihnen tragen konnte, ließ sie vor Staunen die Augen aufreißen.
Kaum hatte Merani den Kai betreten, begrüßte Kronprinz Wardil sie
Weitere Kostenlose Bücher