Merani und die Schlange unter dem Meer
sehe ich auch so«, erklärte Merani. Da noch eine Goldgarnele auf dem Tablett lag, spießte sie diese auf und aß sie langsam und mit Genuss. Es würde für lange Zeit die letzte sein, und wenn sie sich geirrt hatte und alles verloren ging, wahrscheinlich sogar die letzte in ihrem Leben.
20
Merani und ihre Freunde hatten wenig zu packen. Zwar schlug Qulka vor, weitere Sachen aus dem Palast zu holen, doch Merani verbot es ihr. Es hätte doch nur Fragen gegeben, und ihre Tante Meranda hätte ihr wahrscheinlich untersagt, ihrer Vision zufolgen. Daher gab es für Qulka nicht viel zu tun. Gewohnt, auf alles zu achten, grummelte sie vor sich hin und gab sich keine Mühe, ihren Unmut zu verbergen. »Eure Mutter würde es sicher auch nicht wollen, dass Ihr dorthin fahrt!«
»Psst, sei doch ruhig!« Merani hatte Schritte im Flur gehört. Es fehlte ihr gerade noch, dass der Großadmiral Qulkas Gemecker mitbekam und die Gründe für ihre Reise hinterfragte.
Gleich darauf trat Kip ein, aber er stellte keine Fragen, sondern klopfte auf seinen Bauch. »Na, wie sehe ich aus?«
»Einfach … wie soll ich es sagen? Wie ein echter Seebär!« Merani blieb fast die Stimme weg, denn der Großadmiral hatte seine Uniform ausgezogen und trug jetzt die derbe Tracht eines ilyndhirischen Hochseefischers, die aus hüfthohen Stiefeln, kurzen, weiten Hosen und einem Hemd aus grob gewirktem Garn bestand. Über seinem Arm hing ein Mantel aus gewachstem Leder, der seinen Träger auch im schlimmsten Sturm trocken hielt, und in seinem Gürtel steckte ein zusammengerollter lederner Hut.
»Eine Uniform ist was Schönes bei Hof und vielleicht noch bei einer Flottenparade. Aber auf See braucht man andere Kleidung. Und diese Fahrt, meine jungen Freunde, führt uns durch eine besonders raue See.«
»Ich wollte, wir müssten sie nicht machen«, seufzte Merani. »Aber meine Vision verlangt es von uns.«
Der Großadmiral trat neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Wir schaffen es, mein Mädchen. Wir schaffen es ganz gewiss! Jetzt kommt, wir wollen aufbrechen! Hoffentlich hat der Lümmel daran gedacht, die ›Seeschäumer II‹ klar zum Ablegen zu machen. Wenn nicht, setzt es was.«
Er drehte sich noch einmal um, um zu schauen, ob seine Frau erschien, um sich zu verabschieden. Da er sie nirgends sah, zuckte er mit den Achseln und wandte sich zur Tür.
Da erklang Anihs Stimme hinter ihm. »Du wirst die Freundlichkeit haben, auf mich zu warten, mein Lieber!«
Sie hatte fast lautlos den Raum betreten und stellte sich in Positur. Statt eines weiten Kleides trug sie nun einen ledernen Rock und eine eng anliegende Lederweste über einer blauen Bluse. Auf ihrem Kopf saß eine Kappe mit einem großen Schirm, der ihre Augen gegen die Sonne schützen sollte, und in der Hand hielt sie einen Köcher voller Pfeile und einen derzeit nicht gespannten Bogen. Feste Stiefelchen und ein langer Dolch vervollständigten ihre Ausrüstung.
Meranis Augen wurden am meisten von der Scheide des Dolches angezogen. Diese bestand zwar auch aus Leder, war aber über und über mit Blumen in allen Blautönen bestickt.
»Was soll das, meine Liebe?«, fragte Kip verblüfft.
»Ganz einfach, mein Schatz! Du hast mich schon lange dazu eingeladen, mit dir eine Segeltour zu unternehmen. Das will ich jetzt tun.«
»Aber das ist viel zu gefährlich«, protestierte Kip.
Um die Lippen seiner Frau spielte ein sanftes Lächeln. »Aber, aber! Wenn du die Kinder mitnehmen kannst, wirst du mich wohl kaum zurücklassen wollen. Und wer sollte auf dich und Kipan aufpassen, wenn nicht ich?«
Merani spürte die Angst der Frau beinahe körperlich, doch sie begriff auch, dass Anih bereit war mitzufahren, um bei ihrem Mann und ihrem Sohn bleiben zu können. Diese Haltung gefiel ihr, und so reichte sie ihr die Hand.
»Ich freue mich, dass du mitkommst, Tante Anih!«
»Es ist mir ein Vergnügen«, antwortete diese mit einem tiefen Knicks. »Doch nun kommt! Mein Gesicht sehnt sich danach, Salzwasser auf der Haut zu spüren.«
Vierter Teil
DIE INVASION
1
Erzmagier Gynrarr zwang seine Begleiter mit einer heftigen Geste zur Ruhe. Dann streckte er seine Rechte langsam nach vorne und zog sie sofort zurück, als der Kristall des Ringes an seinem Mittelfinger einen violetten Schimmer zeigte.
»Halt! Hier beginnt die Abschirmung dieser verdammten Hexe. Wir dürfen nicht weiter, sonst warnen wir sie womöglich noch.«
»Was kann Sirrin uns schon tun?«, wandte einer
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