Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
verdammte Veranda gehen, und wenn es ihn
umbrächte. Er würde es ihnen zeigen. In einem Monat würde er über diese
dämlichen Steine rennen. Eine Krähe hockte auf einem der Dachgiebel, ihr lautes
Krächzen schallte durch die Buscheichen und Kiefern. Bentz bemerkte es kaum.
Ein dritter Schritt. Dann der vierte.
Er schwitzte. Konzentrierte sich. Die Hitze war
drückend, die Sonne brannte vom Himmel, der dumpfige Geruch des bayou stieg ihm in die Nase.
Die Krähe krächzte höhnisch weiter. Lästiges Vieh.
Ein weiterer Schritt, und Bentz hob den Blick
von den unebenen Steinplatten hin zu der Bank, seinem Ziel. Er überquerte die
Veranda auf seinen eigenen Füßen. Als wäre er nie verletzt worden. Als wäre er
nicht um ein Haar ums Leben gekommen.
Als wäre er nicht gezwungen worden, über eine
vorzeitige Pensionierung nachzudenken.
Wieder machte er einen Schritt nach vorn,
selbstbewusster. Und dann spürte er es.
Die kalte Gewissheit, beobachtet zu werden. Mit
mulmigem Gefühl blickte er über die Schulter. Trockenes, welkes Laub, das an
diesem windstillen Tag raschelte. Die Krähe war verschwunden, das zeternde
Gekrächze verstummt.
Licht zuckte durch die Zweige. Etwas bewegte
sich im Dickicht gegenüber der Veranda. Ein Schatten huschte durchs Unterholz. Gütiger Himmel.
Instinktiv griff Bentz nach seinem
Schulterholster und fuhr mit leerer Hand Richtung Bäume herum. Er hatte sein
Schulterholster nicht angelegt. Nicht in seinem eigenen Haus.
Was zum Teufel war das?
Sonnenlicht fiel durch den filigranen Baldachin
aus Nadeln und Blättern. Sein Herz schlug wie verrückt. Sein Mund wurde
trocken.
Es war nur seine Fantasie.
Wieder einmal.
Oder?
Doch die Gänsehaut, die ihn überkam, belehrte
ihn eines Besseren. Er spürte, wie sich jeder einzelne Muskel in seinem Körper
anspannte.
Dummkopf! Du bist in deinem
eigenen verdammten Garten!
Er wandte sich ein Stück weit um, um
nachzusehen, ob es sich bei dem Eindringling um ein Opossum, ein Reh oder gar
einen Alligator handelte, der vom Sumpf hier herauf gekrochen war, doch tief
im Innern wusste er, dass es kein wildes Tier war, das sich bis zu seinem Haus
verirrt hatte. Die Blätter hörten auf zu rascheln.
Mit zusammengekniffenen Augen starrte Bentz ins
Dickicht hinein. Ohne Zweifel würde er sie sehen. Wieder einmal.
Er wurde nicht enttäuscht. In der flimmernden
Hitze stand sie zwischen den bleichen Stämmen zweier Sumpfzypressen, gekleidet
in dasselbe sexy schwarze Kleid, und schenkte ihm ihr verführerisches Lächeln. Jennifer.
Seine erste Frau. Die Frau, der er ewige Liebe
geschworen hatte.
Das Miststück, das ihn betrogen hatte ... so
sinnlich und wunderschön, wie sie es all die Jahre über gewesen war. Der Duft
nach Gardenien waberte durch die Luft. Er schluckte.
Ein Geist? Oder eine Frau aus Fleisch und Blut?
Die Frau, Jennifers Doppelgängerin, stand im Wald und blickte ihn mit
aufgerissenen, wissenden Augen und diesem aufreizenden Lächeln an ... Mein
Gott, ihr Lächeln hatte ihm den Kopf verdreht.
Ihm blieb beinahe das Herz stehen. Eine
unheimliche Kälte durchfuhr ihn.
»Jennifer?«, fragte er laut, obwohl er wusste,
dass seine ExFrau schon lange tot war.
Sie zog eine Augenbraue hoch, und ihm wurde flau
im Magen.
»Jen?« Bentz machte einen Schritt nach vorn,
blieb mit dem Zeh an einer höher liegenden Steinplatte hängen und stürzte mit
den Knien voran zu Boden. Sein Kinn schlug auf Stein und Mörtel, sein Kiefer
knackte, und er schürfte sich die Haut auf.
Schmerz explodierte in seinem Gehirn. Die Krähe
krächzte, als würde sie ihn auslachen. Sein Handy schlitterte über die
Verandaplatten.
»Verfluchter Mist!«, stieß er leise hervor. Für
einen kurzen Augenblick blieb er reglos liegen und atmete ein paarmal ein und
aus, wobei er sich einen gottverdammten Idioten schimpfte, einen Spinner, der
Dinge sah, die gar nicht existierten. Schließlich bewegte er ein Bein, dann
das andere und erwog im Geiste den Schaden, den er seinem bereits
schmerzgepeinigten Körper zugefügt hatte. Vor gar nicht langer Zeit war er
gelähmt gewesen, Resultat eines eher ungewöhnlichen Unfalls in einem
Gewittersturm. Sein Rückenmark war verletzt worden, doch zum Glück nicht
dauerhaft geschädigt. Langsam hatte er sich wieder erholt, und er hoffte, dass
er sich durch den Sturz keine neuen Verletzungen an Rücken oder Beinen
zugezogen hatte.
Schmerzerfüllt rollte er sich herum und rappelte
sich auf die Knie, um von der Veranda auf die Stelle zu
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