Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
Seufzen gab ich zu: Es könnte jeder sein. Dann umkreiste ich störrisch den Namen von Dr. Wallace.
Er verfügte über das Wissen und das Motiv, ein Beruhigungsmittel herzustellen, das ihn für die Menschen, die er
liebte, ungefährlich machen würde. Ich hörte auf, mit meinen Stift zu spielen. Oder nicht?
War nicht auch der Kuss eines Vampirs ein Beruhigungsmittel? Es war möglich, dass ein unterwürfiger Werwolf daraus wie jedes andere beruhigte Tier hervorging, vollkommen erschöpft und ruhig. Stefan sagte, dass nur einige Wölfe problematisch wurden. Samuel hatte zunächst gekämpft und sich verwandelt; bereit anzugreifen, genauso, als hätte er in einer Falle gesessen.
Ich musste an die zerbrochenen Handschellen denken, die in Adams Haus zurückgeblieben waren. Ich hatte seine Reaktion Jesses Entführung zugeschrieben, aber vielleicht war das nur ein Teil davon gewesen. Das war jetzt allerdings Nebensache.
Ich konzentrierte mich auf die andere Seite dieser Situation und schrieb erneut: Warum Bran durch Adam ersetzen?
Ich fuhr mit dem Finger über die Worte. Ich war nicht sicher, ob es sich wirklich um das Motiv handelte, aber es schien allemal die Art von Grund zu sein, bei dem man Leichen benutzte, um weitere Einmischung zu entmutigen. Sie hatten Adam jedoch am Leben gelassen, als sie ihn leicht hätten töten können. Also wollten sie etwas von ihm.
Bran war nun beinahe zwei Jahrhunderte Marrok. Warum wollte jemand so verzweifelt etwas daran ändern, wie die Dinge gehandhabt wurden?
Ich schrieb: Sie w ollen Veränderung.
Bran konnte ein Mistkerl sein. Er war ein Herrscher im guten, alten, despotischen Stil – aber offenbar passte das ganz gut zu den Werwölfen. Unter seiner Herrschaft waren sie in Nordamerika aufgeblüht, sowohl was ihre Macht als auch was ihre Anzahl anging – während es in Europa immer weiter mit ihnen bergab ging.
Was würde Adam anders machen? Ich konnte mir keine große Veränderung vorstellen, die jemandem nutzen würde. Wenn überhaupt, wäre Adam womöglich ein noch größerer Despot. Samuel sagte, Bran habe daran gedacht, Adam als Vorzeigewerwolf zu benutzen – aber das hätte ohnehin nie funktioniert. Adam war zu aufbrausend. Irgendein Reporter würde ihm eine Kamera ins Gesicht halten und sich flach auf dem Boden wiederfinden.
Das war es.
Ich schnappte nach Luft. Sie wollten keine Veränderung – sie wollen, dass alles beim Alten bleibt. Bran plante, das Geheimnis der Wölfe an die Öffentlichkeit zu bringen, und einige wollten Adam einsetzen, um das zu verhindern.
Plötzlich kam es mir nicht mehr so seltsam vor, dass einer von Adams Wölfen ihn verraten hatte. (Ich war mir allerdings immer noch nicht so sicher, dass meine Instinkte auch hier richtig lagen). Aber ich konnte mir durchaus vorstellen, wie einer vom Rudel zu dem Schluss gekommen war, dem Feind zu helfen, sei kein Verrat. Immerhin bereiteten sie den Weg dafür vor, dass Adam die Macht übernahm. Der Überfall auf sein Haus hätte niemandem schaden sollen – aber die Toten dort hätten auch niemanden entmutigt. Werwölfe starben oft jung, und diese Wölfe waren für eine gute Sache gestorben. Ein Wolf wie Mac, der nicht einmal zum Rudel gehörte, wäre für sie kein großer Verlust gewesen, gemessen an dem, was auf dem Spiel stand.
Jeder konnte der Verräter sein. Keiner aus Adams Rudel schien über persönliche Loyalität gegenüber Bran zu verfügen.
Ich holte die Karte heraus, die Bran mir gegeben hatte, und rief die oberste Nummer an. Er ging beim zweiten Klingeln an den Apparat.
»Bran, hier ist Mercy.« Nun, da ich ihn am Telefon hatte, war ich nicht sicher, wie viel ich ihm erzählen sollte – viel zu viel von dem, was ich mir zusammengereimt hatte, war reine Spekulation. Schließlich fragte ich: »Hat Adam sich bei dir gemeldet?«
»Nein.«
Ich tippte mit dem Zeh auf die Couch. »Ist … ist Dr. Wallace immer noch da?«
Bran seufzte. »Ja.«
»Könntest du ihn vielleicht fragen, ob er an einem Beruhigungsmittel gearbeitet hat, das auch bei Werwölfen funktioniert?«
Seine Stimme wurde schärfer. »Was weißt du?«
»Nichts. Nicht eine einzige verdammte Antwort auf die offenen Fragen, eingeschlossen die Frage, wo Adam und dein Sohn gerade sind. Und das ausgerechnet in dem Moment, wenn du daran denkst, die Werwölfe in die Öffentlichkeit zu bringen.«
»Samuel ist verschwunden?«
»Ich würde nicht so weit gehen. Das ganze Rudel ist bei ihnen – sie lassen sich vielleicht nur nicht
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