Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
hinauf, wo die am weitesten abgelegene Tür lag. Sie verfügte über einen hellen, glänzenden Riegel mit Schloss, der sie mehr als die anderen Türen auffallen ließ. Als er den Riegel löste und sie öffnete, schoss ich in den Raum dahinter und blieb gleich wieder stehen.
Kein Wunder, dass Gerry nur eine einzige Wache brauchte – es gab einfach keine Möglichkeit, dass Jesse oder Adam allein entkommen würden.
Jesse lag auf einer nackten Matratze auf einem Bettgestell. Jemand hatte Klebeband um ihren Mund, das Haar und den Hals gewickelt. Es würde schwierig werden, es abzureißen. Ihre Hände waren mit Handschellen gefesselt, und ein Bergsteigerseil sicherte diese Fesseln am Bettrahmen. Die Fußknöchel waren ebenfalls gefesselt, was es ihr unmöglich machte, sich viel zu bewegen.
Sie starrte John-Julian aus matten Augen an und schien mich überhaupt nicht zu bemerken. Sie trug eine Schlafanzughose und ein T-Shirt, wahrscheinlich die Sachen, in denen sie entführt worden war. An der weißen Unterseite ihres linken Arms hatte sie eine dunkle Prellung, die eher schwarz als lila aussah.
Adam saß auf einem Sessel, der offenbar von dem gleichen einfallslosen Handwerker gefertigt worden war, der den Bettrahmen zusammengenagelt hatte. Er war aus starken Brettern
und groben Nägeln gezimmert, und dabei hatte Stilkunde wohl keine große Rolle gespielt. Schwere Handfesseln, wie man sie eher in einem Wachsfigurenkabinett oder einer mittelalterlichen Folterkammer erwartet hätte, hielten Adams Handgelenke auf den Armlehnen fest, und ähnliche Modelle drückten seine Fußgelenke an die Sesselbeine. Aber selbst den Sessel zu zerstören, hätte nicht viel geholfen, denn Adam und das Sitzmöbel waren mit genügend Silberketten umwickelt, um ein Jahr lang das lokale Schulsystem zu finanzieren.
»Gerry wird nicht kommen«, sagte John-Julian. Adam öffnet die Augen nur ein winziges bisschen, und ich sah, dass sie gelbgolden und flammend vor Zorn waren. »Seine Gegenwart hat die gleiche Wirkung auf Adam wie die meines Großvaters. Nicht einmal die Droge genügt, damit er ruhig bleibt – also wird Gerry sich fernhalten. Unser Mann befindet sich nur noch fünf Minuten auf Wache. Der Nächste ist der Feind, aber danach wird Shawn, einer von unseren Leuten, für zwei Stunden übernehmen.«
John-Julian gab mir weitere Informationen, die mir bereits bekannt waren, wiederholte sie aber, um sich zu überzeugen, dass ich wirklich alles verstanden hatte. »Shawn wird hereinkommen, um Ihnen zu helfen, wenn er kann. Die Wachen sollen eigentlich unten bleiben, außer wenn sie die Schicht beginnen. Aber Sie müssen beide gefesselt lassen, bis Shawn kommt, falls die anderen sich nicht an ihre Anweisungen halten. Es gibt eine Wache, die direkt für die Gefangenen zuständig ist, und vier Mann patrouillieren auf dem Gelände. Im Wohnhaus haben sie Strom und Satellitenfernsehen, also sind sie außerhalb ihrer Dienstzeit meistens da drin. Niemand erwartet wirklich, dass Adams Rudel diese Anlage so schnell findet, und entsprechend sind sie nicht besonders aufmerksam.«
Davids Männer leisteten offenbar den Löwenanteil bei der Bewachung der Gefangenen, weil Gerry nicht so viele Leute hatte, denen er im Umgang mit einer hilflosen Fünfzehnjährigen trauen konnte – das war kein besonders begehrtes Talent in einer Welt von verrückten Söldnern und Einsamen Wölfen. David sagte, Gerry habe sie bezahlt, um zu bleiben und Wachdienst zu leisten. Er schien zu glauben, dass sich David nicht gegen ihn wenden würde, solange die Bezahlung stimmte.
Während John-Julians kleiner Ansprache sah ich mich im Zimmer um, in dem es nicht gerade von Verstecken wimmelte. Solange die Wachen hereinkamen, würde ich mich hinter der Tür oder in einem großen Schiebtürenschrank verstecken können – einige Klischees sind deshalb Klischees, weil sie funktionieren. Es gab keinen Grund für die Wachen, das Zimmer zu durchsuchen, solange sich Adam und Jesse noch dort befanden.
Jesse regte sich schließlich, als ihr klar wurde, dass er nicht mit ihr sprach. Sie drehte sich ungeschickt herum, bis sie mir einen guten Blick zuwerfen konnte, dann gab sie hinter ihrem Knebel ein heiseres Geräusch von sich.
»Still«, sagte er, und dann wandte er sich wieder mir zu. »Sie haben etwa vier Stunden Zeit. Wir werden eine Ablenkung inszenieren – nicht meine Sache, aber Sie werden wissen, was passiert, wenn Sie es hören. Ihre Aufgabe besteht dann darin, die beiden
Weitere Kostenlose Bücher