Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
mein Blick nicht an ihm hängen blieb. Charles, der an der Wand lehnte, sah mich an, sagte aber nichts.
»Tür zu«, fauchte Sam ohne aufzublicken. »Verdammt noch Mal, Mercy, du hättest den Knochen einrichten sollen, bevor du ihn ins Auto geworfen hast und den ganzen Tag gefahren bist – ausgerechnet du solltest doch wissen, wie schnell wir heilen! Ich werde sein Bein noch einmal brechen müssen.«
Samuel hatte mich noch nie zuvor angeschrien. Er war der am wenigsten ungeduldige Werwolf, dem ich je begegnet war.
»Ich weiß nicht, wie man Knochen richtet«, erklärte ich und schlang die Arme um den Oberkörper. Aber er hatte recht. Ich wusste, dass Werwölfe unglaublich schnell heilten – ich hatte nur nicht darüber nachgedacht, was das in Bezug auf Knochenbrüche bedeutete. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass sein Bein gebrochen war. Ich war dumm. Ich hätte einfach Darryl anrufen sollen.
»Was braucht es denn schon, um ein Bein zu richten?«, fragte Samuel beinahe sofort. »Du musst es nur geradeziehen.« Seine Hände waren sanft, als er dazu ansetzte, genau das mit Adams Bein zu tun. »Er hat doch sicher in seinem Rudel jemanden mit medizinischer Ausbildung. Den hättest du um Hilfe bitten können, wenn du nicht selbst den Mumm hattest, es zu tun.« Dann sprach er Adam an. »Sammeln Sie sich.« Aus meiner Position an der Tür konnte ich nicht sehen, was er tat, aber dann knackte ein Knochen, und Adam zuckte zusammen und gab ein Geräusch von sich, das ich nie wieder hören möchte.
»Ich habe mir Sorgen gemacht, dass jemand aus seinem Rudel in den Angriff verwickelt war«, flüsterte ich. »Adam war bewusstlos. Ich konnte ihn nicht fragen. Und sie haben niemanden, der stark genug ist, um seinen Wolf zu beherrschen.«
Samuel warf mir einen Blick zu und fluchte. »Wenn du nur jammern willst, dann verschwinde von hier.«
Trotz seines Zustands knurrte Adam und drehte den Kopf, um Samuel anzusehen.
»Tut mir leid«, sagte ich, ging und schloss die Tür fest hinter mir.
Ich hatte zwanzig Minuten damit verbracht, die erste Seite des Krimis anzustarren, als es an die Tür klopfte. Meine Nase sagte mir, dass es Samuel war, also reagierte ich nicht sofort.
»Mercy?« Seine Stimme war leise, genau, wie ich sie in Erinnerung hatte, mit nur einem Hauch walisischen Akzents.
Wenn ich morgen sehr früh abfuhr, konnte ich anfangen, nach Jesse zu suchen, dachte ich, während ich weiterhin die Tür anstarrte. Jemand anders konnte Adam zurückbringen, wenn er wieder reisefähig war. Wenn ich früh genug aufbrach,
würde ich vollkommen vermeiden können, mit Samuel zu sprechen.
»Mercy, ich weiß, dass du mich hörst.«
Ich starrte die Tür an, sagte aber nichts. Ich wollte nicht mit ihm reden. Er hatte recht. Ich war dumm gewesen – ich hatte Adam einer sechsstündigen Fahrt ausgesetzt, und das wegen einer zufälligen Bemerkung von Darryl, von der ich inzwischen annahm, dass sie nichts zu bedeuten hatte. Samuel wusste es selbstverständlich besser – das Rudel hätte Adam ebenfalls nach Montana zurückbringen oder zumindest nach einem dominanten Wolf schicken können, bis der Alpha sich wieder unter Kontrolle hatte, aber sie hätten sein Bein sofort gerichtet. Und Darryl und das Rudel hätten sich auch nach Jesse umsehen können, während sich Adam bereits auf dem Weg der Besserung befand, wenn ich nicht so dumm gewesen wäre.
In meiner eigenen Welt von Motoren und Gleichlaufgelenken fiel es mir nicht schwer, kompetent zu sein. Wenn Adam ein Auto gewesen wäre, hätte ich gewusst, was zu tun ist. Aber Aspen Creek … hier war ich nie wirklich gut genug gewesen, und daran hatte sich offenbar nicht geändert.
»Mercy, es tut mir leid. Wenn du dich nicht mit Erster Hilfe auskennst und seinem Rudel nicht trauen konntest, hättest du nichts anders tun können.«
Seine Stimme war sanft und liebenswert, aber meine Mutter hatte mir einmal gesagt, ich solle mich stets darauf verlassen, was zuerst aus dem Mund einer Person kam. Wenn die Leute erst Gelegenheit gehabt hatten, darüber nachzudenken, änderten sie ab, was immer sie sagen wollten, um irgendwie akzeptabler zu sein, ihr Gegenüber glücklicher zu machen oder sich zu verschaffen, was sie haben wollten. Ich wusste, was Sam wollte – was er immer von mir gewollt hatte, selbst
wenn er es selbst über die Arbeit an Adams Wunden vergessen haben sollte.
»Adam hat mir fast den Kopf abgerissen, weil ich so barsch zu dir war«, sagte er leise. »Und er hatte recht.
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