Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
Weise war er die ehrenhafteste Person, die ich je gekannt hatte – etwas, das seinen Verrat noch schmerzlicher machte, denn ich wusste, dass er nie gewollt hatte, dass ich glaubte, er würde mich lieben. Er hatte mir nie gesagt, er werde auf mich warten, und ich wusste, dass er lange genug gewartet hatte, selbst nachdem ihm klar gewesen war, dass ich nicht kommen würde.
»Das hatte ich mir gedacht«, erwiderte ich leise. Verdammt, es sollte mir nicht immer noch so viel ausmachen. Ich stellte fest,
dass ich tiefer atmete als normal, nur um seinen Duft aufzunehmen.
»Ich hätte dir sagen sollen, dass ich es mir anders überlegt hatte«, erklärte ich und klammerte mich dabei mühsam an das, was ich ihm sagen musste. »Es tut mir leid, dass ich dich ohne ein Wort zurückgelassen habe. Das war weder richtig noch gut. Ich war feige.«
»Vater hat dir befohlen zu gehen, ohne mit mir zu sprechen«, erwiderte Samuel. Er klang distanziert, aber er hatte mir auch den Rücken zugedreht und starrte einen feuchten Fleck auf dem Teppich in der Nähe seiner Stiefel an.
»Ich gehöre nicht zu seinem Rudel«, fauchte ich. »Das ist mir immer sehr deutlich gezeigt worden. Aber das bedeutet auch, dass ich Bran nicht gehorchen muss. Ich hätte es nicht tun sollen, und das wusste ich damals schon. Ich bedauere es aufrichtig. Nicht die Tatsache, dass ich gegangen bin – das war die richtige Entscheidung –, aber ich hätte dir sagen sollen, was ich vorhatte. Ich war feige.«
»Vater hat mir erzählt, worüber er mit dir gesprochen hat.« Er hatte ruhig begonnen, aber nun lag eine Spur von Zorn in seinen Worten, als er fortfuhr. »Das hättest du allerdings bereits wissen müssen. Ich habe nichts vor dir verborgen.«
In seiner Stimme oder in seiner Haltung lag Trotz – er verstand wirklich nicht, was er mir angetan hatte, so ignorant ihn das in meinen Augen auch machte. Aber irgendwie tat es immer noch gut zu wissen, dass er nicht geplant hatte, mir wehzutun.
Er drehte sich um und sah mich an, und ich spürte dieses Kribbeln, das mir einmal so vertraut gewesen war wie sein Gesicht. Ein Teil davon war die Anziehung zwischen uns, aber ein Teil war auch die Macht des dominanten Wolfs. Die Anziehung brachte mich auf die Beine und halb durchs Zimmer, bevor ich wusste, was ich tat.
»Also gut, Samuel«, sagte ich und blieb abrupt stehen, bevor ich ihn berührte. »Ich bin müde. Es war ein anstrengender Tag. Ich will mich nicht mit dir über die Vergangenheit streiten.«
»In Ordnung«, sagte er leise und nickte kaum merklich. »Wir können morgen weiterreden.«
Er zog den Mantel wieder an und ging auf die Tür zu, dann drehte er sich noch einmal um. »Das hätte ich beinahe vergessen. Charles und Carl haben die Leiche mitgenommen –«
»Mac«, sagte ich mit scharfer Stimme.
»Mac«, verbesserte er sich. Ich wünschte, er hätte das nicht getan, weil sein offensichtliches Mitgefühl mir die Tränen in die Augen trieb. »Sie haben Mac ins Krankenhaus gefahren und deinen Bus dann zurückgebracht. Charles hat mir die Autoschlüssel gegeben. Er hätte sie dir selbst zurückgegeben, aber du warst so schnell wieder weg. Er wusste allerdings, dass ich mich ohnehin entschuldigen wollte, also überließ er sie mir.«
»Ist der Bus abgeschlossen?«, fragte ich. »Ich habe zwei Schusswaffen da drin, die gegen Werwölfe geladen sind –« Die Erinnerung an die Waffen ließ mich an etwas anderes, etwas Seltsames denken. »Oh, und als ich Adam in seiner Wohnung fand, lag in seiner Nähe ein Betäubungspfeil. Den habe ich ebenfalls mitgebracht.«
»Der Bus ist abgeschlossen«, erklärte er. »Charles hat den Pfeil gefunden und ihn ins Labor gebracht, weil er nach Silber roch, und nach Adam. Jetzt, da ich weiß, wo du ihn gefunden hast, werde ich ihn auf jeden Fall bitten, dass er ihn sich genauer ansieht.«
»Mac sagte etwas darüber, dass sie diese Pfeile benutzt haben, um damit zu experimentieren«, sagte ich. »Sie haben angeblich Drogen entwickelt, die auch bei Werwölfen funktionieren.«
Samuel nickte. »Ich erinnere mich, dass du darüber gesprochen hast.«
Er reichte mir meine Schlüssel, und ich nahm sie ihm ab, bemüht, dabei nicht seine Hand zu berühren. Er lächelte, als hätte ich etwas Aufschlussreiches getan, und mir wurde klar, dass ich nicht hätte so vorsichtig sein sollen. Wenn ich nichts für ihn empfand, würde mich auch die Berührung seiner Hand nicht stören. Seit ich unter normalen Menschen lebte, hatte ich
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