Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
nicht Samuel und ich? Samuel glaubte, dass einige unserer Kinder Menschen sein würden, und vielleicht einige Walker,
so wie ich. Und einige würden Werwölfe sein, und sie würden alle leben.
Erst als Bran mir das alles erklärte, verstand ich Leahs Abneigung gegen mich, eine Abneigung, die alle Menschenfrauen von ihr übernommen hatten.
»Ich hätte es dir nicht auf diese Weise beibringen sollen«, stellte Bran fest.
»Versuchst du dich zu entschuldigen?«, fragte ich. Ich konnte nicht verstehen, worauf er hinauswollte. »Ich war sechzehn. Samuel scheint jung zu sein, aber er ist schon erwachsen, seit ich mich erinnern kann – wie alt ist er also? Fünfzig? Sechzig?«
Als ich ihn geliebt hatte, hatte ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Er hatte sich niemals so verhalten, als ob er deutlich älter sei als ich. Werwölfe sprechen für gewöhnlich nicht über die Vergangenheit, nicht so, wie es Menschen tun. Das meiste, was ich von Brans Geschichte wusste, hatte ich von meiner menschlichen Pflegemutter Evelyn aufgeschnappt.
»Ich war jung und dumm«, sagte ich. »Ich musste hören, was du mir zu sagen hattest. Wenn du also nach Absolution suchst, kann ich dir mitteilen, dass das unnötig ist. Danke.«
Er legte den Kopf schief. In seiner Menschengestalt hatte er warme, grünbraune Augen, von der Farbe eines von der Sonne beleuchteten Eichenblatts.
»Ich entschuldige mich nicht«, sagte er. »Nicht dir gegenüber. Aber ich will es dir erklären.« Dann lächelte er, und die Ähnlichkeit mit Samuel, für gewöhnlich nur schwach ausgeprägt, war plötzlich sehr deutlich. »Und Samuel ist ein kleines bisschen älter als sechzig.« Heiterkeit brachte ebenso wie Zorn eine Spur vom alten Land – Wales – in Brans Stimme. »Samuel ist mein Erstgeborener.«
Ich starrte ihn vollkommen überrascht an. Samuel hatte
keine der Charakterzüge der älteren Wölfe. Er fuhr Auto und besaß eine Stereoanlage und einen Computer. Er mochte Leute – sogar Menschen –, und Bran setzte ihn als Verbindungsmann zur Polizei und zu anderen Behörden ein, wenn das notwendig wurde.
»Charles kam ein paar Jahre nach deiner Ankunft hier mit David Thompson zur Welt«, sagte ich, als ob Bran das nicht wüsste. »Das war wann … 1812?« Wegen seiner Verbindung zu Bran hatte ich im College viel über David Thompson gelesen. Der walisische Landvermesser und Fellhändler hatte Tagebücher geführt, Bran aber niemals namentlich darin erwähnt. Als ich seine Aufzeichnungen las, hatte ich mich gefragt, ob Bran damals vielleicht einen anderen Namen benutzt hatte, oder ob Thompson wusste, was Bran war, und ihn bewusst aus den Büchern herausgelassen hatte, die er überwiegend für seine Arbeitsgeber und nicht als persönliche Erinnerungen verfasste.
»Ich kam 1809 mit Thompson«, erzählte Bran. »Charles kam, glaube ich, im Frühjahr 1813 zur Welt. Ich hatte Thompson und die Northwest Company bereits verlassen, und die Salish benutzen den christlichen Kalender nicht. Samuel ist der Sohn meiner ersten Frau, aus einer Zeit, als ich noch ein Mensch war.«
Ich hatte ihn noch nie so viel über die Vergangenheit sprechen hören. »Wann war das?«, fragte ich, ermutigt von seiner ungewohnten Offenheit.
»Vor langer Zeit.« Er tat es mit einem Schulterzucken ab. »Als ich an diesem Abend mit dir sprach, habe ich meinem Sohn einen schlechten Dienst erwiesen. Es kann gut sein, dass ich es mit der Wahrheit vielleicht übertrieben habe und dennoch nur einen Teil verriet.«
»Oh?«
»Ich sagte dir, was ich wusste, so viel, wie ich damals für notwendig hielt«, berichtete er. »Aber im Licht der folgenden Ereignisse habe ich meinen Sohn wohl unterschätzt und brachte dich dazu, das Gleiche zu tun.«
Ich hatte es immer gehasst, wenn er so kryptische Dinge erzählte. Ich setzte zu einem scharfen Widerspruch an – dann erkannte ich, dass er sich abgewandt, ja sogar den Blick gesenkt hatte. In den letzten Jahren war ich so daran gewöhnt gewesen, es mit Menschen tun zu haben, die Körpersprache bei der Kommunikation weniger beachten, dass mir das beinahe entgangen wäre. Alphas – besonders dieser Alpha – wandten nie den Blick ab, wenn andere sie beobachteten. Dass er es jetzt tat, machte deutlich, wie schlecht sein Gewissen wirklich war.
Also blieb ich ruhig. »Dann sag es mir jetzt.«
»Samuel ist alt«, sagte er. »Beinahe so alt wie ich. Seine erste Frau starb an der Cholera, seine zweite an Altersschwäche. Seine dritte Frau starb im
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