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Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail

Titel: Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Briggs
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unterschwellige Gewalt war so deutlich, dass ich das Blut beinahe riechen konnte.
    »Seit wann sind Sie ein Wolf?«, fragte ich.
    »Letzten Monat ein Jahr«, sagte er. »Ich weiß, ich weiß, ich habe geschworen, es nie zu tun. Ich wusste zu viel über die Wölfe, und dennoch nicht genug. Aber ich musste mich vorletztes Jahr in den Ruhestand versetzen lassen, weil meine Hände nicht mehr richtig funktionierten.« Er schaute nach unten, ein wenig nervös, und entspannte sich dann ein wenig, als er mir zeigte, dass sich alle Finger problemlos bewegen
ließen. »Es war die richtige Entscheidung. Wenn es irgendetwas gibt, woran sich ein Tierarzt gewöhnt – besonders in dieser Gegend –, dann sind es das Alter und der Tod. Gerry versuchte immer wieder, mich zu überreden, aber ich bin störrisch. Es brauchte ein bisschen mehr als ihn und die Arthritis, damit ich meine Ansicht änderte.« Gerry war sein Sohn und ebenfalls ein Werwolf.
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Knochenkrebs.« Dr. Wallace schüttelte den Kopf. »Er war schon zu weit fortgeschritten. Nur noch ein paar Monate im Bett standen mir bevor, und meine einzige Hoffnung war es, zu sterben, bevor das Morphin aufhört, gegen die Schmerzen zu helfen. Jeder hat seinen Preis, und das war mehr, als ich ertragen konnte. Also habe ich Bran gebeten, mir eine Chance zu geben.«
    »Die meisten Leute überleben die Veränderung nicht, wenn sie bereits zu krank sind«, sagte ich.
    »Bran sagt, ich sei zu stur, um zu sterben.« Wieder grinste er mich an, und seine Miene begann mich zu beunruhigen, denn es lag etwas darin, was Dr. Wallace, mein Dr. Wallace, nie gehabt hatte. Ich hatte vergessen, wie seltsam es war, jemanden vor und nach der Verwandlung zu sehen, vergessen, wie sehr der Wolf die menschliche Persönlichkeit verändert. Besonders, wenn der Mensch sich nicht beherrschte.
    »Ich hatte gehofft, inzwischen wieder zu praktizieren«, fuhr Dr. Wallace fort. »Aber Bran sagt, ich solle noch nicht anfangen.« Er wippte ein wenig auf den Hacken und schloss die Augen, als könnte er etwas sehen, was ich nicht sah. »Es ist der Geruch nach Fleisch und Blut. Solange kein Blut in der Nähe ist, bin ich in Ordnung.« Den letzten Satz hatte er geflüstert, und ich hörte die Gier in seiner Stimme.
    Mit einem tiefen Atemzug riss er sich zusammen, dann sah
er mich mit Augen an, die nur eine Spur dunkler waren als der Schnee. »Weißt du, ich habe jahrelang angenommen, Werwölfe unterschieden sich nicht sonderlich von anderen Raubtieren.« Wie ein großer weißer Hai oder ein Grizzly, hatte er mir erzählt.
    »Ich kann mich erinnern«, sagte ich.
    »Aber Grizzlybären greifen ihre Familien nicht an, Mercy. Sie sehnen sich nicht nach Gewalttätigkeit und Blut.« Er schloss die Augen. »Vor ein paar Tagen hätte ich beinahe meine Tochter umgebracht, weil sie etwas sagte, was mir nicht in den Kram passte. Wenn Bran nicht vorbeigekommen wäre …« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht zu einem Tier, sondern zu einem Ungeheuer. Ich werde nie wieder Tierarzt sein können. Meine Familie wird niemals in Sicherheit sein, nicht solange ich lebe.«
    Die letzten Worte hingen zwischen uns in der Luft.
    Verdammt, verdammt, verdammt, dachte ich. Er hätte sich inzwischen besser beherrschen müssen. Wenn er ein ganzes Jahr Wolf gewesen war und es immer noch nicht konnte, dann würde er niemals die Gewalt über sich erlangen, die er brauchte, um zu überleben. Wölfe ohne die entsprechende Selbstkontrolle wurden um der Sicherheit des Rudels willen eliminiert. Die einzige Frage bestand eigentlich darin, warum Bran sich noch nicht darum gekümmert hatte – aber ich kannte die Antwort. Dr. Wallace hatte zu den wenigen Menschen gehört, die Bran als Freund betrachtete.
    »Ich wünschte, Gerry könnte zu Thanksgiving zurückkommen«, sagte Dr. Wallace. »Aber ich bin froh, dass ich die Gelegenheit hatte, dich zu sehen, bevor du wieder aufbrichst.«
    »Warum ist Gerry nicht hier?«, fragte ich. Gerry unternahm oft im Auftrag von Bran Geschäftsreisen, aber er konnte doch sicher zurückkehren, um seinen Vater zu sehen, bevor …

    Dr. Wallace fuhr mir mit der Hand über die Wange, und ich erkannte, dass ich weinte.
    »Er ist unterwegs. Er kümmert sich um die Einsamen Wölfe, die dort leben, wo es kein Rudel gibt, das auf sie aufpasst. Das ist eine wichtige Aufgabe.«
    Ja, das war es. Aber da Dr. Wallace bald sterben würde, hätte Gerry hier sein sollen.
    »Manchmal ist Sterben

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