Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
flacher Bauch wirkte eher leichenhaft als sexy – oder vielleicht hatte ich an diesem Abend auch einfach genug von Vampiren, um ihn toll zu finden.
»Friede, Stefan.« Der Vampir hob die Hand. »Marsilia dachte, du könntest Hilfe brauchen.«
»Du meinst, sie will Dr. Cornick lieber nicht hier haben, wenn er aus dem Bann des Kusses erwacht.« Stefan entspannte sich ein wenig. »Also gut.«
Sie luden Stefan von einem Vampir zum andern – der Neue litt offenbar nicht unter Stefans Problemen, denn er hob sich den Werwolf problemlos auf die Schulter.
Die Nacht war still, aber etwas lauerte in ihr, etwas, das
ich von der Jagd her kannte. Jemand mit großer Selbstbeherrschung beobachtete uns – keine große Überraschung. Schweigend gingen wir weiter durch den Garten und das Haupttor, das in der Zwischenzeit weit geöffnet worden war.
Ich schob die Tür des Busses auf und zeigte auf die lange Bank. Der wie ein Pirat gekleidete Vampir nahm Samuel von seiner Schulter und legte ihn auf den hinteren Rücksitz. So viel Kraft wirkte auf mich bei Vampiren noch viel unheimlicher als bei Werwölfen – die Wölfe sahen zumindest meist aus wie Leute, die stark sein sollten.
Nachdem Samuel sicher untergebracht war, wandte sich der Vampir mir zu.
»Mercedes Thompson«, begann er. »Meine Herrin dankt Ihnen für Ihren Besuch, der uns gestattet hat, Probleme zu entdecken, die wir anderweitig nicht bemerkt hätten. Sie bedankt sich auch dafür, dass Sie ihr erlaubten, ihre Ehre und die ihres Vasallen Stefano Uccello zu wahren.« Er bemerkte meine Skepsis und lächelte. »Sie sagt, sie sei noch nie von einem Schaf zurückgestoßen worden. Kreuze, Schriften und Weihwasser, ja, aber kein Schaf.«
»Das Lamm Gottes«, erklärte Stefan. Er sah beinahe wieder aus wie immer, mit einem Ellbogen an die Tür des Busses gelehnt. »Ich dachte auch nicht, dass es funktionieren würde. Sonst hätte ich es selbstverständlich Estelle geben müssen.«
»Selbstverständlich.« Der andere Vampir schenkte mir ein weiteres schnelles, liebenswertes Lächeln. »In jedem Fall möchte ich Signora Marsilias Entschuldigungen auch ausdehnen auf alles Unbehagen, das Sie oder einer der Ihren in dieser Nacht erfahren haben, und ich hoffe, Sie werden in unserem Namen auch gegenüber Dr. Cornick unser Bedauern ausdrücken. Bitte erklären Sie ihm, dass die Herrin ihn nicht verletzen wollte, ihre Indisposition der letzten Zeit jedoch
dazu führte, dass einige ihrer Leute … widerspenstig wurden. Man wird sie bestrafen.«
»Sagen Sie der Signora, ihre Entschuldigungen sind sehr großmütig, und ich bedauere ebenfalls jede Unannehmlichkeit, die sie diese Nacht erlitt«, log ich. Aber ich hatte es offenbar gut gemacht, denn Stefan nickte unauffällig und anerkennend.
Der Vampir verbeugte sich, dann reichte er mir Samuels Kreuz, das er vorsichtig an der Kette hielt, und ein kleines Blatt Papier von der dicken, handgemachten Art. Es roch nach den gleichen Kräutern wie das Haus, und in einer fließenden Handschrift, die offenbar ihre ersten Schreibversuche mit einer Feder vollzogen hatte, war eine Adresse in Kennewick notiert.
»Die Herrin hat vorgehabt, Ihnen dies selbst zu geben, bat mich aber, Ihnen noch mehr zu auszurichten. Die Wölfe haben uns für das Recht, diese Adresse für zwei Monate zu nutzen, knapp zehntausend Dollar gezahlt.«
Stefan richtete sich auf. »Das ist zu viel. Warum hat sie ihnen so viel berechnet?«
»Das hat sie nicht. Sie haben uns ohne Verhandlungen bezahlt. Ich habe meiner Sorge wegen der Seltsamkeit dieser Transaktion Ausdruck verliehen, aber …« Er warf Stefan einen Blick zu und zuckte die Achseln.
»Marsilia ist nicht mehr sie selbst, seit sie aus Mailand hierher ins Exil geschickt wurde«, erklärte Stefan. Er sah den anderen Vampir an. »In dieser Hinsicht ist das, was heute Nacht passierte, gut. Unsere Herrin wieder mutig zu sehen, ist ein wahres Wunder, Andre.«
»Wunder« war nicht unbedingt das Wort, das ich gewählt hätte.
»Das hoffe ich«, erklärte der andere heiser. »Aber sie hat
zwei Jahrhunderte geschlafen. Wer weiß, was nun geschehen wird? Du bist diesmal vielleicht schlauer gewesen, als gut für dich ist.«
»War ich nicht«, murmelte Stefan. »Jemand hat versucht, uns Ärger zu machen. Unsere Herrin sagte, ich dürfe mich umhören.«
Die beiden Vampire starrten einander an, und keiner von ihnen atmete.
Schließlich fuhr Stefan fort: »Was immer sie wollten, es ist ihnen gelungen, sie endlich zu
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