Mercy-Thompson 03 - Spur der Nacht-retail-ok
gerade über den Stacheldrahtzaun, der meine drei Morgen Land von Adams größerem Grundstück trennte, als mir einfiel, mich zu fragen, wieso Ben ausgerechnet mich angerufen und nicht zum Beispiel nach Samuel gefragt hatte, der den Vorteil hatte, ein Werwolf zu sein, und einer der wenigen, die dominanter als Adam waren.
6
I ch gab mir nicht die Mühe, zu Adams Haustür zu gehen, sondern riss einfach die Hintertür auf und stürzte ins Haus. Die Küche war leer.
Adams Küche war nach den Maßstäben der Academie d’Art Culinaire gebaut und eingerichtet worden – Jesse, Adams Tochter, hatte mir einmal gesagt, ihr Vater könne wirklich kochen, würde es aber meistens nicht tun.
Wie im Rest des Hauses hatte Adams Exfrau auch hier alles ausgewählt. Ich hatte es immer merkwürdig gefunden, dass mit Ausnahme des offiziellen Wohnzimmers, das beinahe ausschließlich in Weißtönen gehalten war, die meisten Farben im Haus erheblich freundlicher und ruhiger waren, als man von ihr behaupten konnte. In meinem eigenen Haus gab es überwiegend Erbstücke von Verwandten, Sachen vom Flohmarkt und, dank Samuel, gerade genug schöne Möbel, um alles andere noch heruntergekommener aussehen zu lassen.
Adams Haus roch nach Reinigungsmittel mit Zitronenduft und nach Werwölfen. Aber ich brauchte meine Nase und meine Ohren nicht, um zu wissen, dass der Alpha zu Hause war – und nicht gerade bester Laune. Die Energie
seines Zorns hatte mich schon vor dem Haus überschwemmt.
Ich hörte Jesse flüstern »Nein, Daddy!« Es kam aus dem Wohnzimmer.
Es beruhigte mich nicht, als Nächstes ein leises Knurren zu vernehmen, aber Ben hätte mich auch nicht angerufen, wenn alles in Ordnung gewesen wäre. Tatsächlich überraschte es mich, dass er überhaupt an mich gedacht hatte; wir waren nicht unbedingt die besten Freunde.
Ich folgte Jesses Stimme ins Wohnzimmer. Die Werwölfe waren überall in dem großen Raum verteilt, aber für einen Augenblick funktionierte die Alpha-Magie bei mir, und alles, was ich wirklich sah, war Adam, obwohl er mit dem Rücken zu mir stand. Der Anblick war angenehm genug, dass ich einen Augenblick brauchte, um mich daran zu erinnern, dass ich sicher wegen einer Krise hierhergerufen worden war.
Die einzigen beiden Menschen im Wohnzimmer kauerten geduckt unter Adams intensiver Aufmerksamkeit auf der antiken Recammière, die der Hausherr kürzlich erworben hatte, um die zerbrochene alte zu ersetzen. An Adams Stelle hätte ich kein Geld für Antiquitäten verschwendet. Zerbrechliche Dinge hatten im Haus eines Alpha-Werwolfs eine geringe Lebenserwartung.
Einer der Menschen war Adams Tochter Jesse. Der andere war Gabriel, der Highschool-Junge, der für mich arbeitete. Er hatte den Arm um Jesses Schulten gelegt, und dass sie so klein und zierlich war, ließ ihn größer wirken. Irgendwann, seit ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, hatte Jesse ihr Haar hellblau gefärbt, wie Zuckerwatte, was irgendwie fröhlich, aber ein wenig seltsam aussah. Ihr dick
aufgetragenes Augen-Make-up war verschmiert und hatte dabei Streifen von silbernem Lidschatten, schwarzem Mascara und Tränen auf ihren Wangen hinterlassen.
Für einen Augenblick dachte ich das Offensichtliche. Ich hatte Gabriel gewarnt, dass er mit Jesse vorsichtig sein solle und ihm erklärt, dass es Nachteile haben könne, der Freund der Tochter des Alpha zu sein. Er hatte sich alles angehört und feierlich versprochen, sich zu benehmen.
Dann wurde mir klar, dass sich unter den Make-up-Streifen schwache Spuren neuer Prellungen befanden. Und etwas von dem, was ich für mehr Wimperntusche gehalten hatte, war tatsächlich ein Rinnsal getrockneten Blutes, das von einem von Jesses Nasenlöchern zur Oberlippe verlief. Eine nackte Schulter hatte eine Schürfwunde, in der sich immer noch ein wenig Splitt befand. Gabriel konnte das unmöglich getan haben – wenn er es doch gewesen war, würde er jetzt nicht mehr leben.
Verdammt, dachte ich, und mir wurde kalt. Jemand würde heute sterben.
Gabriels unterwürfige Haltung musste die Reaktion auf etwas sein, was Adam getan hatte, denn als ich ihn ansah, reckte er die Schultern wieder und hob den Blick zum Gesicht von Jesses Vater. Nicht gerade klug gegenüber einem zornigen Alpha, aber mutig.
»Kanntest du sie, Gabriel?« Ich konnte Adams Gesicht nicht sehen, aber seine Stimme sagte mir, dass seine Augen hell und goldfarben leuchteten.
Ich ging einen weiteren Schritt in den Raum hinein, und eine Welle der Macht ließ mich
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