Mercy Thompson 04 - Zeit der Jäger-retail-ok
waren, das bemerkte ich.
Während Chad sich die Pläne ansah, die er auf dem geschlossenen Deckel des ersten Koffers ausgebreitet hatte, las ich etwas über das Leben von Ermalinda Gaye Holfester McGinnis Curtis Albright, weil mich diese exzessive Reihe von Nachnamen neugierig machte. Sie war 1939 im Alter von vierundsiebzig Jahren gestorben. Ihr Vater war ein Hauptmann auf der falschen Seite des Bürgerkrieges gewesen, hatte seine Familie nach Westen geführt und dort sein Vermögen in Holz und Eisenbahnen gemacht. Ermalinda hatte acht Kinder, von denen vier sie überlebt und die ihrerseits wieder jede Menge Kinder bekommen haben. Zweimal verwitwet, hatte sie fünfzehn Jahre vor ihrem Tod einen weiteren Mann geheiratet. Er war anscheinend – das konnte ich zwischen den Zeilen herauslesen – um einiges jünger gewesen als sie.
»Richtig so«, feuerte ich sie bewundernd an – und in diesem Moment klappte sich die Leiter zusammen und die Luke schlug so heftig zu, dass die daraus resultierenden Bodenerschütterungen Chad von seinen Plänen aufschauen ließen. Was er allerdings nicht gehört haben konnte, war das Klicken des Schlosses.
Ich sprang zur Tür – natürlich zu spät. Als ich meine Nase in die Nähe führte, konnte ich niemanden riechen. Ich konnte mir sowieso keinen Grund denken, aus dem uns jemand auf dem Speicher einsperren würde. Es war ja nicht so, als würden wir hier oben unser Verderben finden … außer jemand fackelte das ganze Haus ab oder etwas anderes in der Art.
Ich schob diesen hilfreichen Gedanken zur Seite und beschloss,
dass es wahrscheinlich unser Geist war. Ich hatte von Geistern gelesen, die Häuser angezündet hatten. War nicht angeblich Hans Holzers Pfarramt in Borley von Geistern angezündet worden? Aber ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass Hans Holzer irgendwann mal als Betrüger aufgeflogen war …
»Also«, meinte ich zu Chad, »das zeigt uns auf jeden Fall, dass unser Geist rachsüchtig und intelligent ist.« Er sah ziemlich erschüttert aus und klammerte sich auf eine Art und Weise an die Pläne, die das zerbrechliche Papier so verknitterte, dass jedem Historiker ein Schauder über den Rücken gelaufen wäre. »Wir können auch genauso gut weiter forschen, findest du nicht auch?«
Da er immer noch verängstigt wirkte, erklärte ich ihm: »Deine Mutter wird früher oder später nach Hause kommen. Wenn sie nach oben kommt, können wir uns von ihr befreien lassen.« Dann hatte ich eine Idee. Ich zog mein Handy aus der vorderen Hosentasche, aber als ich die Nummer anrief, die ich unter Amber gespeichert hatte, konnte ich hören, wie das Telefon in ihrem Schlafzimmer klingelte.
»Hat deine Mom auch ein Handy?« Hatte sie. Er wählte die Nummer und ich hörte zu, als ihre Mailbox mir erklärte, dass sie gerade nicht ans Telefon gehen konnte. Also erzählte ich der Box, wo wir waren und was passiert war.
»Wenn sie die Nachricht abhört, dann kommt sie und lässt uns raus«, sagte ich Chad, als ich fertig war. »Wenn sie das nicht tut, rufen wir deinen Dad an. Willst du sehen, was im letzten Koffer ist?«
Er war nicht glücklich, aber er lehnte sich über meine Schulter, als ich das letzte Schloss überlistete.
Wir beide starrten den Schatz an, den die Kiste preisgab.
»Wow«, meinte ich. »Ich frage mich, ob deine Eltern wissen, dass das hier oben ist.« Ich hielt kurz inne. »Glaubst du, das ist was wert?«
Dieser letzte Koffer war bis zum Rand gefüllt mit alten Platten, größtenteils die dicken schwarzen Vinylscheiben, auf denen 78 rpm stand. Ich fand heraus, dass das Ganze sogar ein System hatte. Ein Stapel bestand nur aus Kinderunterhaltung – Die Geschichte von Hiawatha, verschiedenste Kinderlieder. Und ein Schatz: Schneewittchen, komplett mit einem Bilderbuch in der Hülle, das aussah, als wäre es ungefähr zur selben Zeit entstanden wie der Film. Chad rümpfte über Schneewittchen nur die Nase, also legte ich die Platte zurück auf den richtigen Haufen.
Mein Handy klingelte und ich checkte die Nummer. »Nicht deine Mom«, sagte ich zu Chad. Dann klappte ich es auf. »Hey Adam. Hast du je die Mello-Kings gehört?«
Es folgte eine kurze Pause, und dann sang Adam in passablem Bass: »Chip, chip, chip went the little bird … und irgendwas, irgendwas, irgendwas went my heart. Ich nehme an, es gibt einen Grund, warum du fragst?«
»Chad und ich wühlen gerade in einer Kiste mit alten Platten«, erzählte ich ihm.
»Chad?« Seine Stimme war sorgfältig
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