Mercy Thompson 05 - Zeichen des Silbers-korr-iO
beobachtet hatte.
»Lüg mich nicht an, Mercy. Mich nicht. Keine Lügen zwischen uns.«
Ich rieb mir die Augen - ich war nicht kurz vorm Heulen. War ich nicht. Es war nur der nachlassende Adrenalinschock, nachdem ein Bewaffneter mich bedroht hatte, während ich einen wild gewordenen Werwolf im Rücken hatte.
Adam drehte mir den Rücken zu. Ich nahm an, dass er mich den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sehen lassen wollte. Bis er nach dem Tresen griff und ihn in zwei Teile brach - so dass meine Registrierkasse und jede Menge Papierkram auf den Boden fielen. Seltsamerweise war meine erste Reaktion auf seinen Gewaltausbruch die bestürzte Einsicht, dass es ohne Gabriel meine Aufgabe sein würde, herauszufinden, wie alles zusammengehörte, damit mir das Finanzamt nicht aufs Dach stieg.
Dann heulte Adam. Ein unwirkliches Geräusch aus der Kehle eines Mannes - ich hatte es erst einmal von einem Wolf gehört. Mein Pflegevater Bryan hatte geheult, als er die Leiche seiner Frau, seiner Gefährtin, in den Armen hielt.
Ich trat einen Schritt auf ihn zu - und plötzlich stand Sam zwischen uns, den Kopf angriffsbereit gesenkt.
Die Tür zwischen meinem Büro und meiner Werkstatt ist aus Stahl. Nach Sams Erscheinen war sie außerdem verbogen und zerbrochen und hing nur noch an einer Angel. Ich hatte nicht gehört, wie sie aufbrach; ich hatte nur Adam hören können. Der kein Geräusch von sich gegeben hatte, ging mir auf. Ich hatte sein Heulen aus einer völlig anderen Quelle gehört, durch die Verbindung, die ihn an mich band und mich an ihn.
Adam drehte sich nicht um. »Hab keine Angst vor mir«, flüsterte er. »Verlass mich nicht.« Keine Lügen zwischen uns.
Ich atmete aus, trat ein paar Schritte zurück und ließ mich in einen der alten Stühle an der Wand fallen. Mit meiner lässigen Haltung versuchte ich, die Situation zu entschärfen.
»Adam, ich bin nicht mal vernünftig genug, um Angst vor Sam zu haben, auch wenn er in diesem Zustand ist. Ich weiß nicht, wieso du denkst, dass ich klug genug bin, um Angst vor dir zu haben.« Es wäre klüger, etwas mehr Angst vor einem Werwolf zu haben, der so aufgewühlt war, dass er den von Zee gebauten Tresen zerstörte, als sich Sorgen um ein wenig Papierkram und die Steuer zu machen.
»Bitte Samuel, uns allein zu lassen.«
»Sam?«, fragte ich. Er hatte Adam gehört. Er knurrte, und Adam antwortete genauso. Nur ein wenig lauter.
»Sam«, sagte ich verzweifelt. »Er ist mein Gefährte. Er wird mir nicht wehtun. Geh weg.«
Sam schaute mich an, dann musterte er nochmal Adams Rücken. Ich konnte sehen, wie Adam die Muskeln anspannte, als könnte er Sams Blick spüren.
»Warum schaust du nicht, was Zee gerade macht?«, fragte ich. »Hier bist du momentan keine große Hilfe.« Sam winselte. Trat einen halben Schritt auf Adam zu.
»Sam, bitte.« Ich würde es nicht ertragen, wenn sie anfingen, miteinander zu kämpfen. Jemand würde sterben. Der große weiße Werwolf drehte sich zögernd um und ging. Er hielt regelmäßig an, um zu schauen, ob Adam sich bewegte. Schließlich sprang er über die Reste der Tür hinweg und war verschwunden.
»Adam?«, fragte ich.
Aber er antwortete nicht. Wäre er menschlich gewesen, hätte ich gestichelt - einfach, um es hinter mich zu bringen. Ich hatte ihm wehgetan und wartete auf meine Bestrafung. Ich hatte schon lange, bevor ich am College Immanuel Kant gelesen hatte, gelernt, dass man Entscheidungen trifft und dann mit den Konsequenzen leben muss.
Aber er war kein Mensch. Und im Moment kämpfte er, soweit ich es beurteilen konnte, gegen seinen Wolf. Dass er Alpha war, dominant war, machte diesen Kampf nicht einfacher - vielleicht sogar im Gegenteil. Stur zu sein half - und in diesem Bereich war Adam wunderbar qualifiziert. Dass ich Sam dazu gebracht hatte, zu gehen, half noch mehr. Das Einzige, was ich sonst noch für ihn tun konnte, war still dazusitzen und zu warten, während Adam das Trümmerfeld anstarrte, das er aus meinem Büro gemacht hatte.
Für Adam würde ich - ob unsere Gefährtenverbindung nun seltsam war oder nicht - ewig warten.
»Wirklich?«, fragte er in einem Tonfall, den ich noch nie bei ihm gehört hatte. Sanft. Verletzlich. Adam hatte es nicht mit verletzlich.
»Wirklich was?«, fragte ich.
»Trotz der Tatsache, dass dir unsere Verbindung Angst macht, trotz der Art, wie jemand aus dem Rudel dich manipuliert hat, willst du mich immer noch?«
Er hatte meinen Gedanken gelauscht. Dieses Mal machte es mir überhaupt
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