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Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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hineingelegt?«
    »Hat sie das?«
    »Eigentlich wollte sie, dass du sofort bei ihr lebst, und hat deine Eltern gefragt, ob sie dich nicht zu ihr bringen wollen, damit sie dich unterrichten kann. Aber deine Mom hat sich geweigert.«
    »Dann hätte sie ja meinem Dad die Wahrheit sagen müssen.« Ich schüttelte den Kopf.
    »Deine Tante hat viel über dich gesprochen. Deine Mom hat ihr geschrieben und ihr Fotos geschickt.«
    »Fotos?« Fenestrae waren auf Fotos erst zu sehen, nachdem sie gelernt hatten, wie das mit dem Fenster funktionierte. Wahrscheinlich kam es davor zu einer Überbelichtung.
    »Sie waren nicht gut. Du warst meistens nur ein heller Fleck. Aber sie hat sie ihr trotzdem geschickt. Deine Tante wusste, dass du genau die Richtige für diese Aufgabe bist, und sie weiß es immer noch.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Und ich ebenfalls. Tut mir leid, dass ich so streng mit dir war. Doch du musst verstehen, wie hilflos ich mir vorkomme, wenn du absolut weggetreten bist und ich nur noch deinen Körper vor Augen habe. Wenn du so vielen Seelen beim Übergang hilfst, ist es, als würde dir sämtliche Energie entzogen. Erst wird deine Haut blass, dann verschwinden deine Locken, und zu guter Letzt verlangsamt sich dein Herzschlag. Und ich kann nichts weiter tun, als bei dir zu sitzen und zu hoffen, dass du nicht auf der anderen Seite landest.« Seine Stimme klang belegt. »Ich darf dich nicht verlieren. Das würde ich nicht überleben, Supergirl.«
    »Ich gehe nirgendwo hin.« Ich lehnte die Stirn an seinen Nacken und umarmte ihn ebenso fest wie er mich. »Tut mir leid, wenn ich dir Angst gemacht habe.«
    Ich spürte, dass er mit dem Kopf nickte. »Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.«
    »Ich auch nicht.«
    »Bei den Pinguinen in der Antarktis würdest du dich langweilen.«
    Ich kicherte. »Ich würde ihnen das Pokern beibringen.«
    »Und sie mit Fish and Chips füttern?« Er lachte.
    »Ha, ha.« Als ich Rotz prustete, musste ich noch lauter lachen.
    »Wir sollen Custos fragen? Im Ernst?« Er sah erst mich an und blickte dann zum Sofa hinüber. »Auf Englisch?«
    Ich nickte. »Offenbar.«
    Custos wälzte sich auf den Rücken, spreizte die Beine und wedelte mit dem Schwanz.
    »Also bitten wir sie morgen früh, uns zu helfen, diesen Vater Soundso zu finden?«
    »Anthony.« Ich schnippte mit den Fingern. »So hieß er: Anthony.«
    Tens nickte, sagte aber nichts. Stattdessen gab er die Suppe in Schalen und stellte sie in die Mikrowelle, bis sie kochend heiß war. Ich rieb mir die Schläfen, hinter denen ein Kopfschmerz pochte.
    »Kopfweh?«, erkundigte er sich.
    »Ja, aber nur ganz normale menschliche Kopfschmerzen.«
    »Bist du sicher?« Er klang nicht überzeugt.
    »Ja, ganz sicher.«
    »Möchtest du im Bett essen, oder …?«
    »Nein, alles bestens.« Ich schleppte mich an den Tisch. Ich war es nicht gewöhnt, Hunger zu haben oder den Geschmack von Speisen zu genießen. Satt zu sein war noch immer eine neue Erfahrung für mich.
    Ich aß fast so viel wie Tens. Fast.
    Außerdem beobachtete ich ihn gern beim Essen. Ich betrachtete ihn überhaupt gern. Wenn er sich Sorgen machte oder sich ärgerte, wurden seine schokoladenbraunen Augen pechschwarz, aber Liebe oder Gelächter machten sie karamellfarben.
    Sein blauschwarzes Haar wuchs viel schneller als meines, so dass er es ständig hinter die Ohren schieben musste. Seine hohen Wangenknochen erinnerten an gemeißelte Bögen unter seinen Augen und lenkten meinen Blick unweigerlich auf seine vollen Lippen. Es waren Lippen, wie Hollywoodsternchen sie sich für ein Vermögen künstlich aufspritzen ließen, nur dass ihre üppige Form bei ihm absolut männlich und natürlich wirkte. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob er mehr nach seiner Mom oder nach seinem Dad geraten war. Er sprach kaum über sie, jedenfalls nicht genug, um meine Neugier zu befriedigen. Auf Fotos im Haus meiner Tante hatte ich nur Tyee, seinen Großvater, gesehen.
    Er ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte, und lächelte. »Gefällt dir der Anblick, Supergirl?«
    Ich lachte, erleichtert, dass er mir verziehen hatte, und brachte das Geschirr in die Küche. »Vielleicht.«
    Er schnaubte und gesellte sich zu mir ans Spülbecken. »Deine Gesichtsfarbe ist schon besser.«
    »Und die Locken sind auch wieder da, richtig?«
    »Vielleicht.« Lächelnd küsste er mich auf den Scheitel. »Ich hole unsere Sachen aus dem Auto.«
    Ich spähte aus dem Küchenfenster in die Dunkelheit. Was erwartete uns da

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