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Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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Stunde ins Bett gegangen war. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft gehabt, mir die Zähne zu putzen oder das Gesicht zu waschen.
    Bodie bemerkte nichts davon. Er drängelte, schubste und trat, bis er es bequem hatte, und berührte mich dabei so oft wie möglich.
    »Hast du schlecht geträumt?«, fragte ich ihn. Für uns Insassen waren Alpträume ebenso alltäglich wie ins Bett machen und schmutziges Geschirr. Das Kind, das hier nicht nachts aus irgendeinem Grund Angst bekam, musste ich erst noch kennenlernen.
    Da Bodie die Taschenlampe ebenso in den Armen hielt wie ich Mini, musste ich mein Gesicht in genau dem richtigen Winkel halten, damit das Licht nicht auf meine Netzhäute traf. »Juliet?«, begann er.
    »Hmmm.« Ich sehnte mich so nach Schlaf, dass ich kaum einen Ton herausbrachte.
    Mini kam wieder näher und schmiegte sich an meinen Kopf wie eine pelzige Krone. Schnurrend massierte sie mir die Kopfhaut und glättete meine Augenbrauen mit ihrer schmirgelpapierrauhen Zunge.
    Ich schlief schon fast, als Bodie wieder zu sprechen begann. »Warum hat deine Mommy dich eigentlich nicht behalten?«
    Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. Vor lauter Schreck schaute ich direkt in die Glühbirne, so dass mir die Tränen in die Augen traten. »Was?«, erwiderte ich blinzelnd.
    »Warum hat deine Mommy dich nicht behalten?« Er starrte zwar an die Decke, zappelte aber unruhig mit den Beinen.
    Die immer wiederkehrende Frage im Stich gelassener Kinder. Sie war eigentlich nicht auf mich und meine Mutter gemünzt – sondern auf seine.
    »Keine Ahnung, Bodie.«
O doch, du weißt es sehr wohl. Du willst es nur nicht wahrhaben.
    »Hat sie dich liebgehabt?«
    »Ich hoffe es. Wahrscheinlich schon.« Ich hatte keine Möglichkeit, es festzustellen. Schließlich kannte ich sie nur vom Hörensagen. Es war ein Wunschtraum. Wie hatte sie mich aussetzen und gestatten können, dass ich hier landete, wenn sie mich liebte?
    »Also warum?«
    »Wenn ich sie mal treffe, frage ich sie«, wich ich aus. »Aber eines steht fest.«
    »Was?«
    »Dass ich dich liebhabe und mich furchtbar freue, dass es dich gibt.« Ich sagte den Kindern die Dinge, die ich in ihrem Alter unbedingt hatte hören wollen. Ich meinte sie zwar ernst, aber es ging nicht um mich. Nicht mehr.
    »Und warum?«
    »Weil du klug und nett und lustig bist.«
    »Mutig?«
    »Mutig auch«, fügte ich schmunzelnd hinzu.
    »Und warum ist sie dann gegangen?«
    »Weil sie musste. Sie hatte keine andere Wahl.« Das war meine Standardlüge, weil es den Kleinen half, die Tage und Wochen zu überstehen, bis sie erwachsen waren. Dann würden sie alt genug sein, um zu wissen, dass ich sie belogen hatte. Und sie würden nicht sich selbst hassen, sondern mich.
    Wir alle hatten irgendwo jemanden, den wir hassten. Denn hassen war besser, als zu leiden und darüber zu grübeln, warum meine Mutter mich weggegeben hatte. Warum ich nicht von einer sympathischen Familie adoptiert worden war. Und was um alles in der Welt ich verbrochen hatte, um in dieser Hölle zu landen.
    »Die Heimleiterin hat gesagt, sie hätte Geld für mich gekriegt, weil meine Mom eine Crack-Nutte gewesen ist. Was ist denn eine Crack-Nutte? War sie das?«
    Ich verabscheute die Heimleiterin abgrundtief. »Nein. Die Heimleiterin ist gemein, hässlich und bösartig.«
    »Warum sagt sie denn so was?«
    »Weil sie sich besser fühlt, wenn sie anderen weh tun kann.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich.« Daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. In unserer Heimleiterin zuckte und zappelte der grausige, verschrumpelte, verkohlte und qualmende Überrest einer Seele. Falls es eine Hölle gab, war ihr dort der beste Tisch gleich in Bühnennähe sicher.
    »Ich habe heute neue Freunde gefunden.« Bodie kuschelte den Kopf in meine Armbeuge. Sein Atem wurde regelmäßig. »Du würdest sie mögen.«
    »Wirklich?«
    »Da war auch ein Wolf.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, aber es kümmerte mich nicht. Stattdessen schloss ich die Augen und träumte von Kirian.
     
    »Wer bist du?« Ein niedlicher blonder Junge kniete sich vor mich.
    Ich schwieg, kauerte mich tiefer in die Speicherecke und schlang die Arme um die Knie.
    »Du sprichst wohl nicht?« Er lächelte. »Ich heiße Kirian und bin neun. Ich bin schon seit drei Jahren hier. Soll ich dich herumführen?«
    Ich schüttelte den Kopf, weil ich mich nicht bewegen wollte.
    »Komm, ich zeige dir ein Rotkehlchennest. Hast du schon mal Babyvögel gesehen? Sie sind noch ziemlich hässlich,

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