Meridian - Flüsternde Seelen
wehren.«
»Warte es ab. Ich hole dich hier raus …«
Kirian würde nicht auf einem weißen Pferd angeritten kommen und den Drachen für mich töten. Ganz gleich, was er mir auch in seinen Postkarten versprechen mochte.
Bodie stürmte auf mich zu. »Juliet, sie ist zurück. Dicke Luft.«
Ich packte meine Schuhe und rannte zum Haus, wobei ich Bodie überholte. Die Heimleiterin war früher nach Hause gekommen. Hatten die Kinder die Ravioli schon aufgegessen? War das Geschirr gespült?
Verdammt, wie konntest du nur so blöd sein, Juliet?
Ich hörte das Gekreische schon, während ich mir noch hastig und ungeschickt den Schlamm von den Füßen wischte. Schmutz ins Haus zu tragen würde eindeutig eine strenge Strafe nach sich ziehen.
»Nett, dass du uns endlich Gesellschaft leistest, junges Fräulein«, schleuderte die Heimleiterin mir entgegen.
»Ich habe doch gesagt, dass sie badet.« Nicole blinzelte, sah mich aber nicht an.
»Mund halten, dumme Göre. Baden ist ein Luxus, den sie sich leisten kann, wenn die Arbeit erledigt ist, richtig?«
Mein Stichwort. »Ja, Ma’am.«
»Wer hat mir dieses widerliche Zeug ins Haus geschleppt?« Sie deutete auf einen Teller, auf dem ein paar Krümel weißen Parmesans und roter Marinara-Sauce zu sehen waren. Obwohl die Küchenfenster weit offen standen, lag noch der Duft von Knoblauch, Basilikum und Tomaten in der Luft.
Sollte ich es ihr sagen? Oder besser nicht? In meinem Kopf überschlugen sich Alternativen, Lügen und Ausreden. Ich musste die Wahl treffen, die am wenigsten weh tat. Es war reine Glückssache. An manchen Tagen schlug sie zu, dann wieder entzog sie einem zwar lebensnotwendige Dinge, wurde aber nicht handgreiflich.
Ich wog noch die verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander ab, als Sema das Wort ergriff. »Es sind doch nur Nudeln.«
»Nur Nudeln, sagst du?
Nur
gibt es nicht. Das stand diese Woche nicht auf dem Speiseplan. Die Sachen wurden doch nicht etwa von unserem Essensgeld eingekauft? Wo kommt das Geld dann her? Wer hat eingekauft und das Essen verteilt? Wer? Ich muss genau wissen, wer daran beteiligt war, richtig? Schließlich bemerke ich hier nicht zum ersten Mal seltsame Küchendünste, oder? Wurde das Essen in dieser Küche zubereitet? Ja? In diesem Haus, mit meinen Vorräten, mit meinen Gerätschaften und in meiner Zeit? Schließlich gebe ich nicht Geld für euch aus und kümmere mich um euch, damit ihr ›nur Nudeln‹ kocht, verstanden?« Ihr Gesicht lief passenderweise tomatenrot an, und ein Schweißtropfen rollte ihr die Nase hinunter, wo er kurz hängenblieb und dann herunterfiel. Ihr Tobsuchtsanfall ekelte mich so an, dass mir das Essen hochkam. Ich schluckte es hinunter.
Ich spürte, dass Bodie zitterte.
Da mir nichts anderes einfiel, trat ich einen Schritt vor. »Ich habe gekocht.«
»Du? Obwohl du sonst nur wie eine Drohne faul herumliegst und badest, bist du in der Lage, eine Sauce aus frischen Zutaten zu kochen? Du kannst doch nicht einmal eine Suppe aufwärmen oder Fischstäbchen braten. Hältst du mich wirklich für so dumm, dass ich dir das abnehme?«
»Es ist die Wahrheit.« Ich verschränkte die Arme hinter dem Rücken und hakte die Daumen ineinander.
»Wahrheit? Hast du noch immer nicht begriffen, dass nicht
du
hier die Wahrheit sagst, sondern ich? Ihr habt jetzt sicher alle keinen Hunger mehr, oder? Bodie, hast du nach dem Toilettenputzen denn keinen Hunger? Ach, Moment mal, du hast ja nicht sehr gründlich geputzt, richtig?«
Das hieß nicht, dass sie unsere Tricks gekannt hätte, mit denen wir die Kleinen vor Strafe schützten. Sie ging einfach selbstverständlich davon aus, dass wir unsere Aufgaben nicht erledigt hatten. Wir waren schuldig, bis man uns, nun, unsere Schuld nachwies.
»Hast du Hunger, Bodie?« Das war eine Fangfrage. Wenn wir zugaben, dass wir hungrig waren, würde sie uns zwingen, widerliches Zeug aus dem Müll zu essen. Stritten wir es ab, würde sie eine Mahlzeit ausfallen lassen. Oder auch drei.
»Ich bin satt«, erwiderte Bodie. Sein Gesicht nahm einen harten, kindlich-trotzigen Ausdruck an. »Ja, ich bin satt.«
»Ach, bist du das? Und ihr anderen? Seid ihr auch so satt wie unser kleiner Prinz hier?«
Wir nickten.
»Dann bring mir bitte die Reibe, Juliet.«
Ich zögerte.
»Weißt du nicht, wo sie ist?«
Das wusste ich genau. »Wir haben verschiedene Reiben, Heimleiterin.«
»Dann die mit dem Griff, in Ordnung?«, höhnte sie.
»Auf dem Speiseplan steht diese Woche nichts, was gerieben
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