Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
Vom Netzwerk:
und ihr Kind verhungert waren. Dementsprechend gedrückt war die Stimmung. Der Lieutenant beauftragte den Krieger, seinen Stamm zum gemeinsamen Festmahl einzuladen, denn auch die Indianer litten sehr unter dem langen und harten Winter. Die amerikanischen Ureinwohner brachten Holz und getrockneten Dung zum Feuermachen mit. Die Siedler förderten ihre Musikinstrumente zutage, und es wurde gesungen, getanzt und gefeiert. Drei Tage und drei Nächte lang wurde das Essen auf den Tischen nicht weniger. Je mehr Speisen die Leute mit anderen teilten, desto mehr füllten sich die Teller. Es sprach sich herum, und weitere Gäste erschienen, um an dem Wunder teilzuhaben. Dann, am dritten Tag, stand die Sonne hoch am Himmel und befreite das Fort von Schnee und Eis. Die Lebensmittel reichten noch einen Monat lang und wurden dann immer weniger, als es richtig Frühling wurde und die Siedler sie nicht mehr brauchten. Als man den Jungen befragte, berichtete er, er habe ein Glühwürmchen gesehen und sei ihm gefolgt, weil er gedacht habe, dass seine Mutter nach ihm rief.«
    »Und deshalb versammeln wir uns jedes Jahr im Fort und am Ufer des Wabash, um ein Festmahl zu feiern und uns auf den bevorstehenden Frühling zu freuen«, unterbrach Gus. »Wir zünden große Feuer an, die die Dunkelheit vertreiben, und begrüßen das Licht. Es wird gegessen und getrunken und so weiter. Die Leute ziehen historische Kostüme an und spielen die Suche nach dem Jungen nach, und die Kinder verkleiden sich als Glühwürmchen.« Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Aber die meisten Leute wissen gar nicht mehr, warum das Fest eigentlich stattfindet.«
    »Sei nicht so verbittert, Schatz.« Faye tätschelte ihm die Hand.
    »Die Geschichte lehrt uns viel über uns selbst, doch man muss zuhören. Man muss schweigen und dem Flüstern lauschen.«
    Die Frage nach dem Schicksal des kleinen Jungen ließ mich nicht los. »Was war denn sein Schicksal? Einfach nur dafür zu sorgen, dass die Menschen etwas zu essen bekamen?«
    »Unter anderem«, erwiderte Sidika. »Außerdem setzte er sich als Erwachsener in der noch jungen amerikanischen Regierung für die Rechte der eingeborenen Völker ein. Er organisierte Veranstaltungen und hielt Reden zum Thema Toleranz und Respekt. Nachdem er die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet hatte, fuhr er nach Frankreich, um die dortige Revolution zu unterstützen. Er hat vieles geleistet, was ihn bekannt gemacht hat. Doch in jenem Winter war er nur der Junge, der der Seele seiner Mutter in Gestalt eines Glühwürmchens gefolgt ist.«
    »Und deshalb erinnern wir uns so an ihn«, fügte Gus hinzu.
    »Tiere sind faszinierende Geschöpfe«, verkündete Rumi.
    »Eine schöne Geschichte.« Ich sah sie vor mir wie einen Film.
    »Wann findet das Fest denn statt?«, erkundigte sich Tens.
    »Sehr bald. Ich verkaufe dort meine Glasobjekte. Perlen, Vasen, zarte Schmetterlinge und Glühwürmchen und natürlich die Geistersteine. Das ist eine gute Methode, die verschiedensten Leute kennenzulernen. Schmiede und Geschichtsfanatiker. Außerdem gibt es am letzten Abend ein großes Konzert.
Dolce Vita.
«
    »Klingt wunderbar. Natürlich gehen wir hin.« Ich wusste, dass Tens dasselbe dachte.
    »Wer hat Lust auf einen Nachtisch?« Rumi stand auf.
    »Bitte.« Tens hob die Hand, worauf alle lachten.
    »Ach, wie schön wäre es, noch mal jung zu sein.« Gus lächelte mich an.
    »Du sprichst nur für dich. Meine Weisheit ist alterslos.« Grinsend versetzte Faye ihm einen leichten Klaps.
    »Schon, aber dein Stoffwechsel ist es nicht.«

[home]
    Kapitel 14
    Juliet
    S chließlich hatte ich die Möglichkeit wegzulaufen. Noch vor meinem sechzehnten Geburtstag zu verschwinden. Einfach meine Sachen zu packen, mich auf den Weg nach Süden zu machen und am Strand zu schlafen. Mir Arbeit als Putzfrau zu suchen. Oder als Köchin.
    Und die Kinder im Stich lassen? Hinnehmen, dass Bodie und Nicole das Elend hier allein durchstehen mussten? Und was war mit den Kindern, die vielleicht noch bis zum 10 . Februar eingewiesen werden würden?
    Ich betrachtete den Bach vor mir. Das Wasser kroch schlammig braun wie heiße Schokolade an mir vorbei. Die Bäume waren riesige Essstäbchen und Zahnstocher und reckten sich dem Frühling entgegen. Die Nasen von Schildkröten durchbrachen die Oberfläche des eiskalten Wassers. Die Welse wirkten in der trüben Brühe so groß wie das Ungeheuer von Loch Ness. Seejungfern und Kardinäle flogen am Ufer umher. Die wimmelnden grauen

Weitere Kostenlose Bücher