Meridian - Flüsternde Seelen
Ausschlag gefällt mir ganz und gar nicht. Versprichst du mir, zum Arzt zu gehen, falls es sich verschlechtert? Auch wenn es nur ein kleines bisschen ist?«
Im ersten Moment verstand ich nicht, wovon sie sprach, doch dann fiel mir unsere Alibigeschichte wieder ein: Ich erholte mich ja angeblich von einer Krankheit. »Nein, davon wird es nicht schlimmer. Und wenn es sich nicht rasch bessert, gehe ich ganz bestimmt zum Arzt.«
»Schwörst du mir, es mir zu sagen?«
»Ich schwöre.«
»Hast du irgendwo eine Familie, die ich anrufen soll?«
»Nein. Wir sind allein.«
Ihre Besorgnis wuchs. »Ihr seid noch recht jung, um ganz allein zu sein.«
»Wir haben ja einander.«
»Das merke ich. Ihr liebt euch und passt aufeinander auf. Aber gibst du mir Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht? Oder wenn ihr nach Hause wollt?«
»Joi, bitte. Lass uns einfach«, flehte ich. »Ja, gut, wir wenden uns an dich, wenn wir etwas brauchen. Doch mein Zuhause ist bei Tens. Es gibt keinen Ort, an den ich zurückkehren kann.«
Sie runzelte die Stirn. »Die Dinge können sich ändern. Ich möchte euch nur helfen.«
Ich überlegte rasch. »Rumi hilft uns.«
»Der Glaskünstler?«
»Ja, er weiß Bescheid und unterstützt uns bei der Suche.«
»Nach deinen leiblichen Eltern?«
Ich nickte.
»Also schön. Falls ich noch etwas für euch tun kann, meldet euch. Was immer es auch ist. Ich kann auch recht gut mit einem Computer umgehen.«
»Das werden wir ganz sicher.«
Sie hauchte mir einen Luftkuss auf die Wange, wobei sie darauf achtete, mich nicht zu berühren, und ging mit einem Winken zur Tür. »Vergesst nicht, kalte Dusche, Unterwäsche, Creme, Tablette …«
»… und Fäustlinge«, beendete ich lächelnd die Aufzählung.
Nachdem Joi fort war, kam Tens in tiefsitzenden Boxershorts aus dem Bad. Wenn es nur nicht so gejuckt hätte. Nun, die Blasen waren zwar nicht unbedingt erotisch, aber er sah sogar in diesem Zustand noch zum Anbeißen aus. »Kannst du mir nach dem Duschen helfen?« Er wies auf seinen Rücken. »Ich komme da nicht ran.«
»Klar.« Erst als ich mich nackt auszog und mich vor dem Spiegel in alle Richtungen drehte, erkannte ich, wie schlimm der Ausschlag war. Es sah aus, als hätten die Ranken strichmännchenartige Handabdrücke überall auf meiner Haut hinterlassen. Der Anblick war ausgesprochen unheimlich, und ich malte mir aus, wie die Efeuranken über meine Haut gekrochen waren und ihr Gift abgesetzt hatten. Außerdem juckte es so heftig, dass ich mich am liebsten wie Tens an der Wand gescheuert hätte. Ich stellte das Wasser auf eiskalt und stieg in die Wanne.
Mir klapperten zwar die Zähne, und meine Fingerspitzen wurden allmählich blau, aber für die Haut war es eine Wohltat – die Kälte linderte das Brennen.
»Merry? Alles in Ordnung?« Tens klopfte an die Tür. »Du bist schon ganz schön lange da drin.«
Mir graute davor, die Wanne zu verlassen. »Ja, bestens.« Ich drehte das Wasser ab und tupfte mich mit einem Handtuch trocken, wobei ich dem Drang widerstehen musste, meine Haut mit dem Frottee abzurubbeln.
»Das ist zum Kotzen!«, rief ich durch die Badezimmertür.
»Richtig«, stimmte Tens schicksalsergeben zu.
Ich zog Boxershorts und einen BH an, der eher wie ein Bikinioberteil aussah und hinten und im Nacken zum Zubinden war. Dann wickelte ich mich in ein Laken.
Anschließend verteilte ich die Creme auf Tens’ Ausschlag, der seinen Rücken überzog wie das Geäst eines Baums. Auch er wies einige merkwürdig deutliche Handabdrücke auf. Als ich fertig war, reichte ich ihm die Tube und stülpte mir die Fäustlinge über, obwohl ich mir damit ziemlich albern vorkam.
»Danke. Aber … Moment … kannst du mich … bitte … genau hier … kratzen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Wir dürfen uns nicht kratzen.«
»Tu es!«, stieß er über die Schulter gewandt hervor. Ich kratzte mit der Rückseite meines Fäustlings eine gerötete Stelle, die noch keine Blasen aufwies. »Hier?«
»Hmmm …«
»Mehr?«
»Hmmm … nicht aufhören.«
Ich gab auf, als mir der Arm lahm wurde.
»Nicht aufhören.«
»Ich kann nicht mehr.« Mein eigener Ausschlag flehte um Aufmerksamkeit.
»Ich bin dran. Schmierst du mich ein?« Ich kehrte ihm den Rücken zu und hörte, wie er hinter mir seufzte und eine andere Sitzposition einnahm.
Seine heißen Hände auf meiner Haut hätten auch der Anfang von viel mehr sein können. Doch ich spürte nur einen leichten Anflug von Bedauern, obwohl wir beide halb nackt
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