Meridian - Flüsternde Seelen
Kaffee herum. »Ein was?«
»Habe ich dir das nicht erzählt?«, erkundigte sie sich überrascht. »Du bist zwar reif für dein Alter, aber normalerweise teilen wir es den Kindern erst mit, wenn sie sechzehn sind. Du wirst für deine Mithilfe im Haushalt bezahlt. Und das Geld kommt auf ein Sparkonto.«
Davon hatte ich nichts geahnt. »Wirklich?« Ich angelte mit einem Rührstäbchen aus Plastik Sahne aus der Tasse.
Anscheinend fand sie mein Unwissen empörend. »Ja, wirklich. Du hast doch nicht etwa geglaubt, dass du umsonst arbeitest, oder? Den kleinen Kindern sagen sie nichts. Sie sollen lernen, wie wichtig es ist, hart zu arbeiten und sich anzustrengen, bevor sie es erfahren.«
»Oh.« Tatsächlich? Dann waren die Prügel wohl das Weihnachtsgeld. Je länger sie redete, desto mehr fühlte ich mich, als spielte ich ein Spiel, dessen Regeln ich nicht kannte.
Sie klopfte mit blutroten Nägeln auf die gläserne Tischplatte. »Hast du dir eigentlich schon über deine nächste Lebensphase Gedanken gemacht?«
Ich holte Luft und nahm all meinen Mut zusammen. »Ich würde gern im Dunklebarger bleiben, bis ich achtzehn bin.«
Ms. Asura machte ein trauriges Gesicht und schien mich wirklich zu bedauern. Sie streckte die Hand nach mir aus. »Oh, Schätzchen, das ist aber nicht möglich.«
»Aber … aber …«, stammelte ich, und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich musste es ihr begreiflich machen. »Gibt es denn gar keine Ausnahmen? Nur bis ich achtzehn bin? Wer wird sich um die Kinder kümmern?«
»Dummerchen. Ich weiß, dass deine Aufgaben als Älteste dort sehr wichtig sind, und ich bin auch sicher, dass die Kinder dich lieben. Doch es wird ihnen gutgehen. Du bist nicht ihr Vormund. Sie haben einen, und sie haben mich. Außerdem kommen bald neue Kinder.«
»Aber …«
»Juliet, ich übe diesen Beruf jetzt schon sehr lange aus. Viel länger, als man glaubt, wenn man mein Alter schätzt. Jedes junge Mädchen, das ich bis jetzt kennengelernt habe, sagt dasselbe. Menschen mögen keine Veränderung. Sie stemmen sich dagegen. Ich möchte, dass du aufhörst, dich dagegen zu wehren. Veränderung ist kein Feind. Du wirst das nie erfahren, wenn du den Sprung ins kalte Wasser nicht wagst. Vertrau mir. Ich bin auf deiner Seite.«
Als ich meinen Kaffee hinunterstürzte, verbrannte ich mir die Zunge und die Kehle bis hinunter zum Magen. Ein Hustenanfall erschütterte meinen Körper und brachte den Tisch zum Wackeln.
»Immer mit der Ruhe.« Ms. Asura reichte mir Servietten und wartete, bis ich wieder Luft bekam. »Dich belastet etwas, das merke ich dir an.«
Ich zögerte. Konnte ich ihr tatsächlich vertrauen? Eigentlich wusste ich es besser. Nur ein letztes Mal? Ich musste es noch einmal versuchen. Für Bodie. Für Nicole. Sema. Die Namenlosen, die noch folgen würden.
»Juliet, solange du Geheimnisse vor mir hast, kann ich meine Arbeit nicht machen. Bitte lass dir helfen.« Sie tätschelte mir sanft und tröstend die Hand.
»Die Heimleiterin schlägt uns«, sprudelte ich hervor. Der überzuckerte Kaffee wurde in meinem Magen sauer, und ich wollte die Worte zurücknehmen, sobald ich sie ausgesprochen hatte.
Sie zog die Hand weg, als hätte sie sich an mir verbrannt, und ich sah, dass sie unter ihrer Schminke erbleichte. Sie betrachtete mich argwöhnisch. »Ich bin enttäuscht, Juliet. Ich dachte, dieses Gespräch hätten wir bereits geführt. Strafen und Misshandlungen sind zwei verschiedene Dinge.«
»Aber …«
»In all den Jahren, die ich nun schon beruflich mit Kindern aus dem Dunklebarger zu tun habe, habe ich noch nie so eine Anschuldigung gehört. Ich bin schockiert. Schockiert.« Ihre Augen verengten sich, und sie musterte mich abschätzend.
»Aber …«
»Von dir hätte ich mehr erwartet. Du redest die ganze Einrichtung schlecht, nur weil du deinen Willen nicht bekommst? Mit Äußerungen wie dieser kannst du das Leben anderer Leute zerstören. Und deine Zukunft. Puff! Die ist dann einfach weg.«
»Äh …« Ich brachte keinen Ton mehr heraus. Mein Gesicht glühte vor Scham.
»Das ist eine ernste Angelegenheit. Jetzt hast du mir mit deiner abscheulichen Lüge den Tag verdorben.« Sie seufzte. »Und dabei wollte ich uns gerade Kekse holen.«
»Es tut mir leid.«
Sie schmollte. »Hast du dich vielleicht geirrt? Habe ich mich gerade verhört?«
»Ja, ich habe mich geirrt.« Ich machte mich innerlich ganz klein. »Wir sprachen gerade darüber, dass ich aufs College gehen und Lehrerin werden
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