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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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sehen.« Sie lächelte. Eine Wolke aus Patschuli und Fichtennadelduft folgte ihr.
    »Es ist viel zu lange her, Sarah.« Die Tante streckte dieHand über die in eine Steppdecke gehüllte Gestalt, um ihr den Arm zu tätscheln. Ich konnte kaum fassen, dass dieser eingeschrumpfte Greis einmal Soldat gewesen sein sollte.
    »Er wird nicht mehr lange durchhalten, Tante. Es ist ja kaum noch etwas von ihm übrig. In seinen Papieren stand, ich solle dich anrufen, wenn es so weit ist.«
    »Dein Opa und ich kennen uns schon seit vielen Jahren. Er war immer sehr stolz darauf, dass du nach New York gezogen bist und es so weit gebracht hast.«
    Sarah lachte auf und trank einen Schluck aus ihrer Tasse. »Er war eben ein schrecklicher Angeber.«
    Als die Tante mich heranwinkte, näherte ich mich langsam dem Bett. »Das ist meine Nichte Meridian. Diese Steppdecke habe ich genäht, als deine Großmutter starb, Sarah.«
    Jaspers Augenlider bewegten sich nicht, und sein Atem ging langsam und roboterhaft, obwohl er nicht an eine Maschine angeschlossen war.
    Tante Merry griff nach meiner Hand. Sie fühlte sich an, als hielte ich die grell scheinende Sonne umfasst. Ihre Hand war so heiß, meine eiskalt. »Hast du noch etwas zu sagen, Sarah?«
    Sarah stand auf und stellte ihre Tasse weg. »Er weiß es. Alles ist gesagt worden.«
    »Gut. Meridian, ich möchte, dass du jetzt die Augen schließt und dir das Fenster vorstellst. Du wirst es allein schaffen müssen.« Sie umklammerte meine Hand. »Ich verliere die Kraft, dich zu schützen.«
    Ich warf Sarah einen Blick zu, unsicher, wie sie darauf reagieren würde. »Ich bin Hellseherin«, meinte sie nur achselzuckend. »Mich kannst du nicht erschrecken.«
    Ich nickte, weil ich befürchtete, keinen Ton herauszubekommen, und schloss die Augen. Da ich sie zu fest zukniff, sah ich regenbogenbunte Flecken und Funken hinter meinen Lidern.
    »Ganz locker«, mahnte die Tante. »Und tief durchatmen.«
    Ich versuchte, die Schultern zu entspannen und Luft in meine Lungen zu zwingen, die mir nicht so recht gehorchen wollten.
    »Und jetzt stell dir das Fenster vor. Hast du es?«, fragte sie.
    Ich nickte. Vor meinem geistigen Auge stand ein großes Fenster, die Glasscheibe eingerahmt von schneeweißen Spitzenvorhängen.
    »Und jetzt mach es auf. Lass den Wind hereinwehen. Was befindet sich außerhalb dieses Fensters?«
    Mit geschlossenen Augen beugte ich mich vor.
    »Nicht so weit. Du bleibst auf dieser Seite, verstanden?« Die Stimme der Tante verhinderte, dass ich dem Drang nachgab, hinauszutreten und immer weiterzugehen. »Sag mir, was du siehst, Meridian.«
    »R-r-r…« Ich räusperte mich und setzte noch einmal an. »Rot, viele rote Blumen.«
    »Sind es Mohnblumen?«, wollte Sarah wissen.
    In diesem Moment erkannte ich, dass es sich um die roten Mohnblumen aus dem Gedicht
In Flanders Fields
handelte, obwohl ich mir den Grund dafür nicht erklären konnte. »Ja.« Ich spürte, dass jemand hinter mir stand.
    »Das ist gut. Jetzt musst du beiseitetreten«, wies die Tante mich an. »Mach Jasper Platz – und bleib von ihm und vom Fenster weg.«
    Ich drehte mich um und wollte zurückweichen. Doch ich fühlte mich verheddert, als spielte ich Twister mit mehreren unsichtbaren Wesen. »Ich kann nicht.« Erneut bewegte ich mich auf das Fenster zu. Meine Arme taten weh, und ein Kopfschmerz bohrte sich in meine Schläfen. Im Hintergrund hörte ich die Stimme meiner Tante. Es war, als läge ich in der Badewanne und hielte den Atem an, bis ich nach Luft schnappen musste.
    »Doch, du kannst. Tritt einfach beiseite, als stündest du Schlange an einer Kinokasse und hättest noch keine Karte. Es sind zwar Leute um dich herum, aber du befindest dich noch in der Schlange. Richtig? Kannst du das sehen? Du wirst dich behaupten. Du bist stark.«
    »Ja. Ja.« Ich spürte, wie ich mich zur Seite bewegte. Ich sah zwar die Mohnblumen noch, allerdings gleichzeitig das Zimmer, mein gelbes Zimmer mit dem Teppich mit Gänseblümchenmuster und dem weißen Himmelbett. Jasper drehte sich am Fenster zu mir um.
    »Danke. Richte deiner Tante aus, ich bin ihr noch etwas schuldig.« Sanft berührte er meine Wange und machte dann einen Schritt über das Fensterbrett in die Mohnblumen hinein. Auf der Wiese entstand Bewegung, und ich sah, wie Menschen ihm entgegenkamen.
    Ich fühlte mich, als müsste ich gegen eine Strömung anschwimmen. Ein Teil von mir hätte ihn gern begleitet.
    Weitergehen.
    Es war so schön und so friedlich. So hell.
    Ich

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