Merkels Tochter. Sonderausgabe.
brauchte er Ohloff nicht. Im Gegenteil, Ohloff störte nur noch.
Es wäre wohl das Vernünftigste gewesen, ihn irgendwo in ein Bett zu packen. Aber Ohloffs Wohnung lag im dritten Stock, die Treppen würde er kaum schaffen mit dem Bein. Abgesehen davon wurde die Wohnung wahrscheinlich überwacht. Dass Kurt und Heinen Irenes Freund völlig aus den Augen ließen, glaubte Merkel keine Sekunde. Sein eigenes Zimmer war auch zu riskant. Da konnte jederzeit einer auftauchen. Die Kollegen schreckten ja vor einer verschlossenen Tür nicht zurück, wie sich gestern gezeigt hatte.
Kurz vor drei wies er Ohloff an, sich auf die Rückbank zu legen. Beim Umsteigen musste er ihm helfen. Gleich danach fuhr er los, er hielt es nicht mehr aus, noch länger tatenlos im Auto zu sitzen. Zuerst fuhr er nur in der Gegend herum, hielt Ausschau nach einer Apotheke. Je länger er fuhr, umso nervöser wurde er. Es waren immer die Kleinigkeiten, die einen zu Fall brachten. Unsichere Fahrweise, so was konnte auffallen. Und der verletzte Arm als Entschuldigung reichte kaum, wenn man keinen Führerschein vorweisen konnte und noch dazu einen Mann spazieren fuhr, der nicht mehr geradeaus sehen konnte. Also nicht unnötig herumfahren.
Wenig später entdeckte er eine Apotheke, zwängte den Kadett mit viel Rangiererei in eine winzige Parklücke und besorgte in aller Eile, was er für notwendig hielt. Ein Mittel gegen Fieber und Schmerzen, eine Heilsalbe gegen Entzündungen und Verbandsmull. Zwei Straßen weiter fand er einen Supermarkt mit einem richtigen Parkplatz. Er kaufte ein paar Flaschen Mineralwasser, Traubenzucker und eine Packung Salzgebäck. Und während er sich damit in die Schlange vor der einzig geöffneten Kasse einreihte, hoffte er inständig, dass niemand in den Kadett schaute. Ohloff musste von der Rückbank runter.
Deshalb fuhr er nicht sofort zurück in die stille Straße, sondern zuerst zur Gießerei, dort waren sie sicher vor Entdeckung. Er fuhr den Wagen vor die ehemalige Lagerhalle, da drin war es zwar auch nicht gerade gemütlich, aber immer noch besser als in der Fabrikhalle. Ohloff war eingeschlafen, er weckte ihn, sagte, dass er ihn hier lassen wollte. Mit seinem ganzen Gewicht hing Ohloff auf seiner Schulter, als er ihn in die Lagerhalle schleifte.
In einem der ehemaligen Büros lag ein Haufen Gerümpel, Kartons, Holzstücke, Teile der früheren Einrichtung und jede Menge Papier. Aus den Kartons und dem Papier machte Merkel ein ganz passables Bett zurecht. Ohloff lächelte schief, aber dankbar mit hochrotem Gesicht und kleinen, glänzenden Augen, als er sich hinlegen und ausstrecken konnte.
Merkel löste den Verband, zwei von den Schnitten sahen inzwischen böse aus. Die Wundränder waren dick angeschwollen und feuerrot, dazwischen getrocknete und rissige Blutkrusten. Er presste dicke Stränge von der Salbe in frischen Mull und legte ihn auf die Wunden. Nachdem er das Bein neu verbunden hatte, flößte er Ohloff mit Mineralwasser zwei Paracetamol-Tabletten und zwei Stücke Traubenzucker ein.
Ohloff fror, zitterte am ganzen Körper, inzwischen hatte er Schüttelfrost vom Blutverlust und dem Fieber. Im Kofferraum des Kadetts fand Merkel eine alte Decke, um ihn einzuwickeln. Ein Stück schnitt er ab und legte es auf den mit getrocknetem Blut verschmierten Fahrersitz, nahm selbst zwei Tabletten, weil sein Arm wieder schmerzte, und ein Stück Traubenzucker gegen die Müdigkeit. Dann fuhr er erneut los. Den Verbandskasten mit dem Dolch auf dem Nebensitz.
Kurz nach fünf hielt er den Kadett wieder am Straßenrand nahe dem Haus, in dem er ein ahnungsloses Elternpaar vermutete. Er stieg aus, um seinen Kreislauf in Schwung zu bringen. Er entdeckte einen Baum, schräg gegenüber dem Haus. Der Stamm war dick genug, dass ein Mann dahinter in Deckung bleiben konnte. So war es besser, als im Auto zu sitzen und neugierige Blicke auf sich zu lenken.
Sie kam kurz vor sechs. In einem kleinen weißen Auto. Trotz Ohloffs Beschreibung war Merkel überrascht, als sie ausstieg und mit raschen Schritten zum Haus lief. So jung, so klein, so zierlich hatte er sie sich nicht vorgestellt. Da brauchte es einen nicht mehr zu wundern, dass Irene von dem Hammerschlag nur betäubt worden und keiner der Stiche tiefer als fünf Zentimeter war.
Nachdem sie im Haus verschwunden war, wartete er noch gut eine Viertelstunde hinter dem Baumstamm. Dann ging er quer über die Straße. Sein Arm schmerzte wieder trotz der beiden Tabletten. Er kümmerte sich
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