Merkels Tochter. Sonderausgabe.
auf einen Becher Kaffee oder ein Wurstbrot legte. Später vielleicht! Zuerst das Bein.
Die Wagentür ließ Merkel auf, um mit der Innenbeleuchtung besser sehen zu können. Am besten wäre es gewesen, den Kadett ins Freie zu fahren und Tageslicht zu haben, aber dazu musste Ohloff erst einmal zu sich kommen.
Das tat er, als Merkel sich daranmachte, mit der kleinen Schere aus dem Verbandskasten vorsichtig den blutdurchtränkten Mull und den Hosenstoff vom Bein zu schneiden.
Zuerst kam ein Stöhnen, dann ein vernehmliches Zischen, dann ein Murmeln. Zu verstehen war nichts.
Ohloffs Hände waren immer noch am Lenkrad gefesselt. Merkel ließ sie vorläufig auch dort, damit Ohloff nicht um sich schlug.
Offenbar hatte er starke Schmerzen. Der Stoff war gar nicht so leicht zu lösen. An mehreren Stellen war er mit den Wunden verklebt. Als Merkel ihn abriss, brachen sie auf und begannen erneut heftig zu bluten. An zwei Stellen war das Fleisch angeschwollen und gerötet, es sah nach Entzündungen aus.
«Tut mir Leid, Junge», flüsterte Merkel, während er neue Mullstreifen um Ohloffs Oberschenkel wickelte. Mit dem verletzten Arm war er nicht sehr geschickt. «Tut mir ehrlich Leid. Aber was hätte ich denn machen sollen? Ich würd’s wieder tun, wenn es sein müsste. Und ich werde es tun, wenn ich dieses Weib in die Finger kriege. Denk nicht, ich hätte Hemmungen, dasselbe mit einer Frau zu machen. Haben die etwa noch Hemmungen? Nein! Die stechen auch zu.»
Ohloff stöhnte wieder. Aus den Augenwinkeln sah Merkel, dass die Lider flatterten. «Ist gleich vorbei», sagte er, «ich bin sofort fertig. Dann gebe ich dir was gegen die Schmerzen. Ich hab was dabei. Das hilft, sage ich dir. Da spürst du gar nichts mehr.»
Zuerst schnitt er noch die Hände vom Lenkrad. Die Arme fielen seitlich herunter, Ohloff sackte in sich zusammen, immer noch nicht ganz bei Bewusstsein. Merkel stieg aus und holte das Frühstück. Die Thermoskanne hatte einen Verschluss, der gleichzeitig als Becher diente. Er füllte ihn mit heißem Kaffee, hielt ihn Ohloff an die Lippen. «Hier, trink einen Schluck. Das tut gut.»
Ohloff blinzelte und seufzte. «Hein? Ich war’s nicht, Hein.»
«Darüber reden wir später», sagte Merkel, «jetzt trinkst du erst mal den Kaffee und isst ein Brot dazu. Und dann erzählst du mir nochmal genau, wie das war, als du ins Haus gekommen bist.»
«Ich war’s nicht, Hein.»
«Weiß ich», sagte Merkel.
Ohloff konnte den Becher nicht halten. Seine Hände waren taub, ein bisschen angeschwollen waren sie auch. Merkel ließ ihn trinken, riss ihm Stücke von dem Wurstbrot ab und schob ihm die in den Mund. Er selbst aß auch ein wenig. Anschließend gab er Ohloff eine von den Tabletten. Vorsichtshalber nur eine, es war niemandem geholfen, wenn Ohloff einschlief.
Nach einer halben Stunde war Ohloff immerhin so weit, dass er auf Fragen antworten konnte. Aber sehr weit kamen sie mit den Antworten nicht. Immer nur bis zur Küchentür. Dreimal forderte Merkel: «Denk nach, hast du sonst wirklich nichts gesehen oder gehört? Es muss noch jemand da gewesen sein, begreifst du das nicht? Was war das denn für ein Geräusch?»
Ohloff konnte es nicht näher beschreiben, irgendein Geräusch eben, ein Rascheln oder Knistern oder Schaben. Und sonst hatte Ohloff nicht viel bemerkt, nur Irene neben dem Tisch liegend. Und das Blut in ihrem Rücken. Nur Blut, an vier oder fünf Stellen, große Flecken auf der hellen Bluse. Kein Messer. Aber die Hose auf dem Boden beim Tisch, fiel ihm wieder ein, als Merkel direkt danach fragte.
Das war immerhin etwas, ausreichend jedenfalls, um Ziriak zu entlasten. Aber an den dachte Merkel nicht. Für ihn war es im ersten Augenblick etwas, das ihm den Schweiß aus allen Poren und die Wut in die Fäuste trieb. Es fehlte nicht viel, und er hätte damit auf Ohloffs Bein herumgeklopft. Er tat es nicht, brüllte nur: «Du bist dazugekommen, du Vollidiot, du bist dazugekommen! Nachdem du wieder weg warst, hat das Weib erst so richtig losgelegt. Siebzehnmal hat sie auf Irene eingestochen.»
Ohloff starrte ihn aus runden Augen an, blinzelte einmal benommen und schüttelte sich, als friere er.
«Siebzehnmal», schrie Merkel noch einmal, «dann hat sie wohl gedacht, Irene sei tot. Aber das war sie nicht, sie hat noch eine ganze Weile gelebt. Ist zur Tür gekrochen, hat versucht …»
Er konnte nicht weitersprechen, legte die Hände vors Gesicht und fühlte die Feuchtigkeit auf den Wangen. Tränen waren das Letzte, was er
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