Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Merkel die Hand und versuchte dabei ein verlegen linkisches Grinsen, was ihm aber kläglich misslang. Annemarie Ziriak sagte ein paar Worte, aufrichtiges Beileid, großer Verlust und so weiter, die jedoch an Merkel vorbeirauschten. Die Bodewig stand da mit all ihren Kindern und heulte sich die Augen aus dem Kopf.
Ohloff war natürlich auch da, stützte sich schwer auf eine sehr hübsche junge Frau, sein Zuckertäubchen, Natascha Parlov. Er humpelte steinerweichend, als er nach vorne kam und Merkel die Hand drückte. «Es tut mir so Leid, Hein, so verdammt Leid.» Was änderte sich damit? «Wenn ich es nochmal zu tun hätte», sagte Ohloff. Hatte er aber nicht.
Alle anderen hielt Kurt ihm vom Leib. Merkel blieb an ihrem Grab stehen, bis die Menge sich verzogen hatte und Kurt nachdrücklich an seinem Arm zupfte. «Jetzt komm, Hein, fahren wir nach Hause.»
Am späten Nachmittag fuhr Kurt ihn noch einmal zum Friedhof. Da türmten sich die Blumen auf ihrem Grab so hoch, dass man kaum ihren Namen auf dem Holzkreuz entziffern konnte. Irene Brandes – geb. Merkel. Dafür hatte Kurt gesorgt. Er sorgte für alles, auch für eine erstklassige Rechtsanwältin.
Dienstags saßen sie zu dritt beim Staatsanwalt. Merkel, Kurt und Frau Doktor Greta Brand. Ein Verhör gab es nicht, nur ein Gespräch. Ohloff hatte bereits eine Aussage gemacht, und der Staatsanwalt zeigte Verständnis für Merkels Situation, auch wenn er die Aktion von Amts wegen nicht billigen durfte. Ein Verfahren wegen Entführung und Körperverletzung war unerlässlich. Aber Merkel würde wohl glimpflich davonkommen, da waren sich der Staatsanwalt und die Rechtsanwältin einig.
So schwer war die Körperverletzung ja nicht. Ein paar Schnitte in die Beine, bei denen kaum mehr als die Haut geritzt worden war. Und dieser Kratzer auf der Stirn, nicht der Rede wert. Es lohnte nicht einmal, darüber nachzudenken, ob Marina Zeiss eine Narbe zurückbehalten würde.
Frau Doktor Brand bezeichnete Merkels Aktion als Handlung infolge einer seelischen Ausnahmesituation. Sie wollte einen Gutachter bemühen, und zu welchem Ergebnis der käme, läge auf der Hand, meinte sie, vermindert schuldfähig.
Mit Ohloffs Aussage schien alles klar. Die Fotos, die er von Brandes und Marina Zeiss geschossen hatte, lagen vor. Es war nur nicht viel darauf zu erkennen. Aber die Negative waren ans LKA-Labor nach Düsseldorf geschickt worden, da wäre mit Technik wohl noch einiges zu machen, meinte Kurt.
Merkel fand, dass es den Aufwand nicht lohnte. Was war denn bewiesen mit den Fotos? Dass Brandes und seine Freundin ein Eis aßen. Und dass Ohloff in ihrer Nähe gewesen war.
Ein verrückter Hund, dieser Ohloff, log, wenn er nur den Mund aufmachte. Er hatte tatsächlich behauptet, er wäre so nahe an die beiden herangekommen, dass er Teile ihrer Unterhaltung mitgehört hätte. Ihm sei allerdings nicht klar geworden, dass da ein Mordkomplott geschmiedet wurde, sonst hätte er das natürlich sofort zur Anzeige gebracht. Aber es hätte harmlos geklungen, fast so, als wolle Brandes seine Freundin nur davon überzeugen, dass sein kleiner Sohn im Grunde ein pflegeleichtes Kind sei, das zu festen Zeiten schlief. Zeiten, in denen seine Frau genug Muße für andere Dinge fand, auch für eine Unterhaltung mit fremden Leuten. Brandes habe erklärt, seine Frau ließe alle möglichen Leute ins Haus, hatte Ohloff behauptet.
Außerdem hatte Ohloff sich selbst angezeigt wegen unterlassener Hilfeleistung. «Aber ich hab wirklich gedacht, Irene wäre tot», hatte er zu Heinen gesagt. «Dass sie meinen Namen rief, mein Gott, in der Aufregung bildet man sich viel ein. Als ich von ihrem Vater hörte, dass sie noch gelebt hat, als ich im Haus war, habe ich mich ins Bein geschnitten. Immer wieder, ich konnte gar nicht damit aufhören. Das waren vermutlich Schuldgefühle.»
Seltsamerweise wollten weder Lukas Heinen noch Kurt Seifert wissen, wie denn ein armer Schlucker wie Ohloff, der kürzlich erst wieder den Job losgeworden war und Schwierigkeiten hatte, die nächste Miete für seine Wohnung zu zahlen, zu einem so kostbaren Dolch mit echten Lapislazuli gekommen war. Den Staatsanwalt interessierte das auch nicht, immerhin hatte Ohloff eine Freundin, die als Gesellschaftsdame über ein gutes Einkommen verfügte und mit Geschenken sehr großzügig war.
Ohloff hinkte auch nach Wochen noch, obwohl sein Bein gut verheilte. Merkel hatte ihn im Verdacht, dass er nur hinkte, wenn er mit ihm zusammen war, mal abends in
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