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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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appelliert.
«Bleiben Sie hier!», schrie sie. «Lassen Sie mich nicht allein mit dem Verrückten. Er bringt mich um, nur weil er sich irgendetwas einbildet.»
Ohloff kümmerte sich nicht um sie, hob das unverletzte Bein zu einem vorsichtigen Schritt an. Da schrie sie noch einmal: «Du sollst hier bleiben, verdammt! Du bist genauso dran wie er, wenn du jetzt weggehst. Das ist Beihilfe, dafür gehst du in den Knast. Hörst du nicht? Bleib hier, Dieter.»
Im ersten Augenblick klang es in Merkels Ohren, als ob sich die beiden kannten, aber nur im ersten Augenblick. Im zweiten begriff er, was eben passiert war. Sie hatte sich verraten. Dieter! Nur ein einziger Mensch hatte Ohloff jemals mit seinem Vornamen angesprochen. Vielleicht hatte seine Mutter es früher auch getan, das war anzunehmen. Aber dass Irene ihn Dieter gerufen hatte, wusste Merkel mit Sicherheit. Und zuletzt hatte sie ihn an dem Mittwoch so gerufen, als sie blutend neben dem Küchentisch lag und er aus dem Haus rannte.
Ohloff begriff es auch. Er war erst einen Schritt von dem Pfeiler weg, zuckte zusammen, als sie seinen Namen schrie, drehte sich wieder um, starrte erst sie an, dann Merkel, streckte eine Hand aus und stammelte fassungslos: «Irene hat mich wirklich gerufen.»
Dann begann Ohloff zu weinen. Und Merkel nickte, konnte gar nicht mehr damit aufhören. Für einen kurzen Moment empfand er so etwas wie Zufriedenheit. Und dann spürte er, wie etwas in ihm zusammenbrach.

39. Kapitel
    Was in den nächsten zwei oder drei Stunden passierte, konnte Merkel später nicht sagen. Wenn er darüber nachdachte, fiel ihm immer nur ein, dass er genickt und dabei das Gefühl gehabt hatte, es sei vorbei. Ohloff hatte ihm wohl den Dolch aus der Hand genommen, ihn zum Auto geführt und irgendwie veranlasst, in die Stadt zu fahren. Marina Zeiss ließen sie in der alten Gießerei zurück, weglaufen konnte sie ja nicht.
    Ohloff wollte ihn zu irgendeiner Polizeiwache dirigieren. Irene hatte ihm zwar einiges erzählt, aber nicht, dass ihr Vater so eine Art Bruder hatte, der bei der Polizei in einer der oberen Etagen saß, allerdings nicht samstags. Da war Kurt zu Hause. Und weil Ohloff davon keine Ahnung hatte, fuhren sie eine ganze Weile herum, von einer Wache zur nächsten. Jedes Mal, wenn eine auftauchte, schlug Ohloff vor:
    «Fahr rechts ran, Hein. Wir sind da.»
    Und Merkel fuhr weiter, weil sie eben nicht da waren, auch nie da sein konnten, solange er nicht wusste, wohin er wollte. Bis ihm endlich klar wurde, dass er Ohloffs alten Kadett durch die Stadt steuerte und Irenes Mörderin gefesselt und blutend in der alten Gießerei lag. Da wollte er eigentlich zurückfahren, aber nur eigentlich. Stattdessen fuhr er zu Kurt. Und Kurt übernahm den Rest, wie Brüder das eben so tun.
    An den Sonntag erinnerte Merkel sich auch nur vage. Er schlief praktisch den ganzen Tag in dem Zimmer, in dem er auch die wenigen Tage nach seiner Entlassung aus der Haft verbracht hatte. Jedes Mal, wenn er kurz aufwachte, stand Agnes neben dem Bett und wollte ihm irgendetwas aufdrängen, mal einen Teller Suppe, mal einen Kaffee oder ein Stück Butterstreusel. Und jedes Mal meinte er, Kurt hätte ihn erst vor ein paar Stunden vor der Haftanstalt in Empfang genommen. «Steig ein, Hein, wir fahren erst mal nach Hause.»
    Wenn ihm dann einfiel, dass das fünf Jahre her und in der Zwischenzeit viel geschehen war, rechnete er damit, dass sich das Gefängnistor wohl in Kürze wieder hinter ihm schließen würde. Dass man ihn an dem Sonntag in Ruhe ließ und auch an dem Montag noch, als sie beerdigt wurde, schrieb er Kurts Einfluss zu.
    Es war eine große Beerdigung, fast so viele Leute wie an dem Tag, als sie vorne am Grab ihrer Mutter stand und ihm anschließend diese lächerliche Visitenkarte mit dem Namen ihres Mannes in die Hand drückte. Einen schwarzen Anzug hatte Merkel nicht mehr gekauft, war nicht dazu gekommen. Doch diesmal fiel er nicht auf in der alten Hose und dem schlecht sitzenden Jackett, das Agnes aus seinem Zimmer geholt und aufgebürstet hatte. Die anderen waren auch nicht viel besser gekleidet, mit Ausnahme von Kurt, Agnes und Ulla Fendrich. Agnes weinte die ganze Zeit. Und Merkel wünschte sich, sie hätte endlich damit aufgehört.
    Gernot Brandes war nicht auf dem Friedhof, aber sonst alle, die sie gekannt hatten. Kollegen aus dem Amt und all ihre Sozialfälle. Helmut Ziriak, der erst am Vormittag aus der U-Haft entlassen worden war, kam zusammen mit seiner Mutter, drückte

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