Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Ohloff zu grinsen begann, erstaunt und anerkennend fragte: «Deine Tochter, Hein? Das ist aber eine Überraschung. Ich wusste gar nicht, dass du eine Tochter hast.»
«Wusste ich auch nicht mehr», sagte Merkel.
Sie tat, als habe sie das nicht gehört, drehte sich zu Ohloff um und entschuldigte sich, weil sie dazwischengeplatzt war.
«Aber ich bin gleich wieder verschwunden», erklärte sie, wandte sich wieder an Merkel. «Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du etwas brauchst, Papa, ich meine, falls ich dir irgendwie helfen kann …»
«Danke», unterbrach Merkel sie knapp, «ich hab alles.»
Sie nickte, trank ihren Kaffee aus und begann mit einer Hand in dem Leinenbeutel zu kramen. «Nichts für ungut, Papa», sagte sie dabei. «Meine Adresse hast du ja. Die gilt auch noch eine Weile. Wenn doch mal etwas sein sollte, du kannst ja anrufen.»
Mit den letzten Worten zog sie eine kleine Geldbörse aus dem Beutel, schaute den Wirt hinter dem Tresen an, zeigte auf die leere Tasse. «Was macht das?»
«Der Kaffee geht auf mich», erklärte Merkel.
Sie bedankte sich, kämpfte einen Augenblick lang mit sich, ob sie ihm zum Abschied die Hand hinhalten sollte. Aber dann drehte sie sich einfach um und ging zur Tür.
Merkel wusste nicht, wie es kam. Er wollte sie wirklich nicht aufhalten und sagte trotzdem: «Warte einen Moment, Irene.» Wenn sie erstaunt war, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie blieb stehen, drehte sich wieder zu ihm um, schaute ihn abwartend an. «Ich hab’s nicht so gemeint, wie es klang», sagte er und fügte mit einem Blick auf Ohloff hinzu: «Setzen wir uns da rüber an den Tisch. Da können wir uns in Ruhe unterhalten.»
Als er es aussprach, hielt er sich selbst für übergeschnappt. In Ruhe unterhalten, worüber denn? Darüber, dass sie sich nichts zu sagen hatten? Dass es völlig sinnlos war, nach all den Jahren den Versuch zu machen, eine Beziehung aufzubauen. Dass er nie wieder enttäuscht und betrogen, nie wieder von einem Menschen verletzt und verlassen werden wollte. Doch was Merkel wollte, kümmerte seine Tochter nicht.
Sie hätte ihn in diesem Augenblick am liebsten umarmt. Beide Arme um seinen Nacken geschlungen, das Gesicht an seinen Hals gedrückt, wie sie es als Kind so oft getan hatte. Und damit womöglich alles kaputtgemacht! Zu viel Gefühl auf einmal, davor hatte er wahrscheinlich Angst. Also gab sie sich kühl und beherrscht. Und wenn es auf diese Weise Jahre dauern sollte, vielleicht würde er sich doch irgendwann an den Gedanken gewöhnen, dass er eine Tochter hatte, die ihn liebte. Sie war überzeugt, mit ihren sechsundzwanzig Jahren hätte sie noch sehr viel Zeit, ihm das klarzumachen.
Aber so viel Zeit war es gar nicht mehr.
7. Kapitel
An dem ersten Abend in der Kneipe waren sie nur für eine halbe Stunde zusammen. Irene trank noch zwei Tassen Kaffee und er noch ein Bier. Sie unterhielten sich. Worüber, das hätte er schon nicht mehr genau sagen können, als er später in seinem Bett lag. Jedenfalls nicht über persönliche Belange.
Ein paar Eindrücke blieben hängen, dass sie keine Forderungen stellte, nichts von ihm erwartete, absolut nichts, gewiss keine Entschuldigung. Im Gegenteil. «Wenn du etwas brauchst, Papa …»
Sie hatte genug von allem, hatte so viel, dass sie etwas abgeben konnte. Es war ihr nicht schlecht ergangen beim zweiten Mann ihrer Mutter. Friedel sei ein feiner Kerl gewesen, das erwähnte sie ganz beiläufig. Und Friedel klang auch nach feinem Kerl, jedenfalls klang es ganz anders als Friedmann, Vater oder Papa. Dass sie von Friedel geerbt hatte, erwähnte sie auch, die große Villa und zusätzlich noch ein hübsches Sümmchen. Aber Merkel dachte nicht im Traum daran, Geld von ihr zu nehmen. Weder Geld noch sonst etwas.
Bevor sie sich verabschiedete, ging sie noch einmal mit an die Theke, hielt auch Ohloff die Hand hin und sagte: «Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, es hat doch etwas länger gedauert.»
Ohloff hatte sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Sie hatte nichts davon bemerkt, weil sie mit dem Rücken zu ihm gesessen hatte. Aber Merkel war es nicht entgangen. Und wie Ohloff sie nun angrinste, er schüttelte ihre Hand, als wolle er sie gar nicht mehr loslassen, und versicherte eilig: «Da gibt es doch keinen Grund, böse zu sein. Im Gegenteil. Hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen. Bis demnächst mal wieder.»
«Bis demnächst», sagte sie.
Merkel hatte kein gutes Gefühl in dem Moment. Sie würde nicht so
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