Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Äußerlichkeiten.»
Natürlich nicht, und ein wundervoller Mensch war sie ja wirklich. So voller Leben, immer fröhlich, immer gut gelaunt, immer für andere da. Seine Tochter! Dass sie entschieden häufiger bei Agnes saß als er, erfuhr er nicht. Er kam ja nur alle vierzehn Tage für zwei oder drei Stunden am Sonntagnachmittag. Irene schaute dreimal die Woche vorbei.
Auch sie erzählte von den Montagabenden, aber ganz anders als er. Wie schwer es ihr fiel, ihn nicht mal in die Arme nehmen zu dürfen, jedes Mal nur über andere Leute reden, nie ein persönliches Wort. Agnes war die Einzige, mit der Irene offen darüber sprach, weil Agnes mit den Jahren so eine Art Ersatzmutter geworden war.
Ihr erzählte Irene auch von Meinungsverschiedenheiten in der Ehe, die seit der Beerdigung immer häufiger in Streit ausarteten. Das hatte jedoch nichts mit Merkel zu tun. Gernot Brandes wusste nicht, dass seine Frau ihren Vater inzwischen häufiger traf. Er wäre bestimmt nicht einverstanden gewesen, gewiss nicht mit dem Treffpunkt. Die kleine Kneipe hatte nicht den besten Ruf, und dass sie dort einem Mann wie Ohloff ihre Hand reichte, hätte ihr Mann davon erfahren, ihm hätten sich garantiert die Nackenhaare gesträubt.
Aber für ihn gab es Ausreden, wenn sie spät nach Hause kam. Das passierte auch an anderen Abenden in der Woche. Mal musste sie um sieben Uhr noch dafür sorgen, dass kleine Kinder für die Nacht sicher untergebracht wurden, weil eine Mutter den Heimweg nicht fand und die Nachbarn Alarm schlugen. Mal verhandelte sie um acht Uhr noch mit einem Vermieter, damit eine Familie das Dach über dem Kopf behielt, obwohl die Miete seit Monaten nicht mehr gezahlt worden war. Und mal klapperte sie zwischen neun und zehn Uhr etliche Spielhallen ab, um einen Siebzehnjährigen davon abzuhalten, das gesamte Geld zu verpulvern, das seine Mutter an Lebensunterhalt für die nächsten vier Wochen vom Sozialamt bekommen hatte.
All das gefiel Gernot nicht, das wusste sie. Obwohl er selbst auch oft noch um sieben Uhr in seinem Büro saß, weil Kunden mit Geld tagsüber nicht immer die Zeit fanden, sich über sämtliche Anlagemöglichkeiten beraten zu lassen. Aber wenn er nach Hause kam, hätte er doch gerne gesehen, sie wäre schon da gewesen und sie hätten gemeinsam noch etwas unternehmen können. Hübsch ausgehen in ein gutes Restaurant, damit sie sich nicht noch an den Herd stellen musste. Mal ein Besuch im Theater oder in der Oper, Freunde einladen oder besuchen. Seit sie geerbt hatte, wies Gernot sie immer häufiger und nachdrücklicher darauf hin, dass sie es doch nicht mehr nötig habe zu arbeiten.
Sie spielte ebenfalls mit dem Gedanken, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, nicht auf Dauer, aber für drei oder vier Jahre. Nur gingen ihre Zukunftspläne und seine nicht konform. Sie wollte ein Kind und ihr Mann das Leben ungestört genießen. Sie wollte Friedels Villa umbauen lassen und vermieten, ein kleineres Haus kaufen und den Rest der Erbschaft in sicheren Papieren anlegen, wie auch Friedel es immer getan hatte. Gernot wollte sich als Investmentberater oder Finanzmakler selbständig machen und in die Villa einziehen.
Das Erdgeschoss sei bestens geeignet, um Büroräume einzurichten, meinte er. Und das Anwesen mache auf solvente Kunden bestimmt Eindruck. Mit dem Vermögen wollte er an die Börse, glaubte, er könne es rasch verdoppeln oder sogar verdreifachen. Bei ihren Plänen musste man den größten Teil in die Umbauten der Villa investieren, und die Erträge stünden in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand. Aus Vermietung und Verpachtung sei nicht viel herauszuholen, erklärte er ihr immer wieder. Man handle sich nur Ärger ein. Zahlungsunwillige oder randalierende Mieter würde man nicht so schnell los, wie sie vielleicht dachte.
Vielleicht hatte er Recht. Wenn es um Geld ging, hatte Gernot eigentlich immer Recht, war schließlich der Fachmann. Aber sie hatte ja nicht vor, einige von ihren Sozialfällen in dem Prachtbau einzuquartieren. Und sie hatte sich in dem riesigen Klotz nie wohl gefühlt, manchmal das Gefühl gehabt, sich zu verlaufen. Sie brauchte etwas Kleines, Überschaubares, das man bequem alleine sauberhalten konnte. In der Villa waren immer zwei dienstbare Geister herumgewuselt, die mussten ja auch bezahlt werden.
Der Kapitalmarkt war ihr ein Buch mit sieben Siegeln. Immobilien mochten nicht so viel abwerfen wie Aktien, Inhaberschuldverschreibungen, Investmentfonds und weiß der Teufel, was es da
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