Merkels Tochter. Sonderausgabe.
er es oft genug gehört hatte, steckte er sich den Daumen in den Mund, nuckelte und betrachtete das Mobile über seinem Bettchen, bis ihm die Augen zufielen.
Als sie zurück in die Küche kam, machte sie sich ohne ein Wort daran, den Tisch abzuräumen, stellte Butter, Wurst und Käse in den Kühlschrank, packte das übrig gebliebene Brot zurück in einen Frischhaltebeutel. Sie war anders als sonst, ihre Bewegungen hektischer, das Gesicht steif.
Merkel saß noch vor seinem Gedeck, den Kopf voll mit ihren Worten und im Herzen die Abwehr. Wenn seine Wäsche trocken gewesen wäre, hätte er seine Sachen genommen und wäre gegangen. Was fiel ihr denn ein, ihn mit Ohloff und einem Analphabeten auf eine Stufe zu stellen?
Sie nahm sein Gedeck und ihren Teller, räumte alles in den Geschirrspüler und erklärte dabei, als habe sie Angst, noch etwas von Bedeutung zu sagen: «Heute Abend muss er aber laufen.»
Ihre eigene Tasse stellte sie wie üblich an die Seite. Sie trank tagsüber mindestens vier Kannen Kaffee und benutzte immer die gleiche Tasse. Nicht weil sie zu wenig Geschirr gehabt hätte, es war eine Marotte von ihr. «Ich nehme doch nicht für jeden Schluck Kaffee eine frische Tasse aus dem Schrank, da müsste der Geschirrspüler nur für die Tassen jeden Tag laufen. So brauche ich ihn nur jeden zweiten Tag einzuschalten», hatte sie vor Monaten erklärt. «Man muss auch an die Umwelt denken.» Natürlich, sie dachte an alles und an sich selbst immer zuletzt.
Nachdem der Tisch leer war, sammelte sie das Spielzeug vom Boden auf, das der Junge in der Küche verteilt hatte. Merkel rauchte bereits die dritte Zigarette nach dem Frühstück und überlegte, ob er etwas sagen sollte, sogar sagen müsste. Vielleicht: «Hör zu, Irene, ich bin bisher wirklich gerne zu dir gekommen. Und ich komme auch in Zukunft gerne, aber wir sollten eins klarstellen: Was vorbei ist, ist vorbei! Wenn ein Mann auf die Sechzig zugeht, kann man ihn nicht mehr ändern. Das kannst du bei Ohloff versuchen oder bei Ziriak, von mir aus auch noch bei der Bodewig. Da hast du vielleicht Erfolg mit deinen Vorträgen, aber nicht bei mir.»
Er schaute auf ihren Rücken, wie sie sich bückte und wieder aufrichtete. Das Haar hatte sie wie üblich im Nacken mit einem Gummi zusammengebunden. Der dünne Schwanz fiel ihr immer wieder über die Schulter nach vorne. Er hörte sie im Geist noch einmal fragen: «Woher willst du das wissen, Papa?»
Das hatte ja fast geklungen, als befürchte sie, dieser Schönling von Ehemann habe sich eine Freundin zugelegt. Was hieß befürchten? Klang es nicht viel eher nach Gewissheit? Vielleicht hätte er sie fragen müssen. Aber verdammt! Er wusste einfach nicht, wie er anfangen sollte, holte einmal tief Luft und begann: «Irene, es tut mir Leid, was ich da eben gesagt habe. Ich wollte nicht …»
Sie richtete sich auf, drehte sich zu ihm um. In der linken Hand ein paar Plastikwürfel, die an einem Ende offen waren und ineinander gesteckt werden konnten. Das schaffte der Knirps natürlich noch nicht, er hatte die Würfel nur durch die Küche geworfen. In der rechten Hand hielt sie einen Beißring, und sie lächelte wieder.
«Schon gut, Papa. Du musst dich nicht entschuldigen, wirklich nicht. Es kam ja ziemlich unerwartet für dich, und ich wollte eigentlich ganz was anderes sagen.»
«Was denn?», fragte er und dachte, jetzt kämen ein paar Worte über ihren Mann.
Aber sie sagte: «Ich wollte dich fragen, ob du mir etwas Arbeit abnimmst. Das Mietshaus, ich finde einfach keinen, der sich da um alles kümmert. Ich kann ja kein Vermögen zahlen für den Job. Es ist nicht viel Arbeit, aber ich muss dafür ständig hin und her fahren, das wird mir zu viel. Wenn jemand im Haus wäre, gäbe es garantiert nur halb so viel Ärger. Du könntest umsonst im Dachgeschoss wohnen, zwei Zimmer, Küche, Bad, komplett eingerichtet. Natürlich bekämst du auch ein Gehalt, du musst ja von etwas leben. Ich könnte für den Job das Gleiche zahlen, was du jetzt verdienst. Denkst du mal drüber nach?»
«Mach ich», sagte er. Sie nickte, zufrieden und erleichtert, wie es schien. Dann ging sie in den Keller und kümmerte sich um seine Wäsche, füllte sie von der Waschmaschine in den Trockner, damit es schneller ging. Merkel nahm in der Zeit sein Bad. Als er nach gut einer halben Stunde zurück in die Küche kam, stand sie vor dem Tisch und bügelte eines seiner Hemden. Der Rest seiner Wäsche lag bereits ordentlich gefaltet auf einem
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